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THTR Rundbrief Nr. 157,
Dezember 2024:
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Inhalt:
Ohne Durchgriffshaftung zahlt der Steuerzahler!
„Sittenwidriges" Verhalten der Stromwirtschaft
2017: Keinerlei Sicherung für Rückstellungen für Rückbau!
2024: Verzehnfachung der Rückbaukosten seit 1989
Insolvenzantrag der HKG steht kurz bevor
Der ursprüngliche Zeitplan für den Rückbau
Wohin mit Plutonium, Uran und radioaktivem Abfall?
Ist ein baldiger Rückbau sinnvoll?
HKG-Unterhosen, Überzieher vom Kraftwerksleiter, Anzug vom Minister ...
Freunde der Natur und der Sponsoren
Der große Betrug!
In den letzten Monaten häuften sich in den Medien die Meldungen über einen möglichen Abriß des THTR und über juristische Auseinandersetzungen, wer das bezahlen soll. Gehen wir also der Sache auf den Grund und fangen wir ganz von Vorne an. Dies ist hilfreich, um die heutige Situation zu verstehen.
Die damaligen Parteien CDU/CSU, SPD und FDP standen allesamt der Atomenergie völlig kritiklos gegenüber und waren grundsätzlich sehr aufgeschlossen gegenüber neuen, angeblich innovativen Reaktorkonzepten. Die HKG schreibt in ihrer von den VEW weitergeleiteten Pressemitteilung vom 21. 8. 1989 deutlich, dass diese Parteien in den jeweiligen Regierungen es waren, die den THTR unbedingt bauen wollten:
„HKG erinnerte daran, daß die Errichtung des THTR 300 auf eine Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen und des Bundes zurückgehe. Während Bonn und Düsseldorf den Impuls gesetzt, Kapital für die Errichtung der Anlage und die wirtschaftliche Risikoabdeckung des Betriebes gegeben hätten, habe sich HKG, was bei der gegenwärtigen Diskussion allzuoft vergessen werde, zusätzlich mit der Bereitstellung des Standortes, der nicht einfachen Einbindung der Reaktorleistung in die Netze der beteiligten EVU einschließlich der notwendigen Reserveleistung, der Übernahme und Durchführung des schwierigen, weil prototypischen Genehmigungsverfahrens, einer motivierten Mannschaft und nicht unerheblichen Aufwand für die begleitende Informationsarbeit (sic!) engagiert."
Die Falle GmbH
Bevor man 1971 mit dem Bau des THTR begann, wurde 1968 die HKG GbR in Hagen gegründet. In einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) haften allerdings die Gesellschafter mit dem Geschäfts- und Privatvermögen in unbegrenzter Höhe! Also firmierten sie 1970 schnell in Hochtemperatur-Kernkraftwerk GmbH um, damit diese Haftung ausgeschlossen ist, wie der Name schon sagt. – Die Falle war aufgestellt und jetzt brauchten nur noch Leichtgläubige aus den Stadtwerken hineintappen und Anteile zeichnen. Für über fünf Jahrzehnte machten sie hiermit der öffentlichen Daseinsvorsorge dienende kommunale Unternehmen zum Spielball der Atomindustrie.
Aktuelle Gesellschafter der HKG sind:
RWE Nuclear GmbH 31 % (füher VEW)
Gemeinschaftskraftwerk Weser GmbH & Co. OHG 26 %, (Bielefeld ist mit 8,7 % dabei)
Mark E Aktiengesellschaft 26 % (dazu gehören Hagen und Lüdenscheid sowie Altena, Plettenberg, Halver, Schwerte, Kierspe, Herdecke, Schalksmühle und Herscheid)
Gemeinschaftswerk Hattingen GmbH (WSW Wuppertaler Stadtwerke GmbH, RWE Power Aktiengesellschaft) 12 %
Stadtwerke Aachen Aktiengesellschaft 5 %
Die Anteile von Bremen sind 1984 von den VEW übernommen worden.
Aufgrund des Risikobeteiligungsvertrages müssen sich die Gesellschafter an der Abdeckung finanzieller Risiken beteiligen. (RB 22,s. 60)
Angesichts der vielen Probleme und Verzögerungen beim Bau des THTR war es nur noch eine Frage der Zeit, wann es bei seinen Betreibern zu Liquiditätsproblemen kommen und die Stadtwerke zur Kasse „gebeten" würden. Auf Anfrage der Grünen im Bundestag wurde 1983 (Drucksache 10/1875) bekannt, mit welchen zusätzlichen Summen die Energieversorgungsunternehmen (EVUs) den Bau des THTR subventionieren werden:
237 Millionen DM „Zuschuss", sowie 135 Millionen DM Darlehen für eine Rückbürgschaft.
Für die Betriebsphase des Reaktors wurden Risikobeteiligungen des Bundes und des Landes in der Höhe von 450 Millionen DM vereinbart. Es zeichnete sich ab, dass die finanzielle Situation des THTR einem Fass ohne Boden glich. Spätestens jetzt musste den Verantwortlichen in den Stadtwerken klar sein, auf was sie sich eingelassen hatten. Während es um die städtischen Haushalte ohnehin nicht gut stand, mussten sie zusätzlich mit vielen Millionen DM Bau und Betrieb des THTR subventionieren. So hatten sie sich den Aufbruch ins neue nukleare Zeitalter aber nicht vorgestellt!
THTR-Störfälle und HKG-Pleite
Wir machen jetzt einen kleinen Zeitsprung von drei Jahren. Der THTR wurde letztendlich mit vielen Unterbrechungen stunden- und tageweise in Betrieb genommen. Zeitgleich mit der Katastrophe in Tschernobyl fanden ab 1986 größere und kleinere Störfälle im uentroper Reaktor statt. Es kam zu vielen Blockaden der Bauern und Verbraucher, Demonstrationen mit bis zu 7.000 TeilnehmerInnen, Kühlturmbesetzung, dreitägigem Trecker-Treck von Hamm nach Düsseldorf und zu vielen anderen Protesten. Die Stimmung in der Bevölkerung wurde deutlich atomkraftkritischer. –
Und der THTR benötigte für Reparaturen und Weiterbetrieb wieder mal mehr Geld. Gleichzeitig wollten die Betreiber die THTR-Technik nach Russland und in andere Länder verkaufen und mussten der russischen Delegation in Uentrop einen maroden Reaktor schmackhaft machen. Die HKG war Pleite und bei den Verantwortlichen im Land NRW und im Bund brach Panik aus. Konnte die Situation nochmal mit einer großangelegten Aktion (Geldtransfer) gerettet werden? Wie könnte man aus dieser Situation gesichtswahrend wieder herauskommen, wo man doch fast 20 Jahre Befürworter dieser Reaktorlinie war?
Die SPD-Landesregierung, die zu den vehementesten Verfechtern dieser Reaktorlinie gehörte, geriet ins Schlingern und fuhr einen bemerkenswerten Zickzackkurs.
Ohne Durchgriffshaftung zahlt der Steuerzahler
Denn nun wurde offenbar, das die Regierungen in Land und Bund auf das Wohlwollen der HKG angewiesen waren: Ist die GmbH zahlungsunfähig und meldet Konkurs an, dann muss der Steuerzahler zahlen und die Gesellschafter sind fein raus! In diesem Fall gibt es keine Durchgriffshaftung, um die hinter den Betreibern stehenden Energiekonzerne (damals VEW, heute RWE) zur Kasse zu bitten. Das war die Falle, die bereits 1970 mit der Gründung der HKG GmbH aufgestellt wurde. Und sie erfüllt bis heute ihren Zweck. Johannes Nitschmann kommentierte in der taz am 11. 5. 1989:
„Hierzulande diktiert allein die Stromwirtschaft Bedingungen und Modalitäten bei der Stilllegung eines AKWs – und sonst niemand. Der Fall Hamm-Uentrop ist ein Exempel. Als Nordrhein-Westfalens SPD-Landesregierung die ursprünglich die „sofortige Stillegung" befürwortet hatte, schließlich doch einer mehrjährigen Auslaufphase zustimmte, begründete sie ihren Umfall mit „Konkursverhinderung". Dies freilich ist nur die kunstvolle Umschreibung für etwas, das wir gemeinhin Erpressung nennen. Und die Politiker sind selbst schuld, wenn sie jetzt von der Energiewirtschaft vorgeführt werden.
Geradezu besoffen von den Errungenschaften des technischen Fortschritts haben sie vor Jahren ein AKW nach dem anderen ans Netz genommen, ohne auch nur einen Gedanken an deren spätere Stillegung zu verschwenden. Entsprechend unzureichend ist die Gesetzeslage. Nicht einmal die Durchgriffshaftung auf die milliardenschweren Energiekonzerne ist im Bundesatomgesetz ausreichend geregelt.
Diese Gesetzeslücken haben die sauberen Herren mit ihren dreckigen Geschäften längst erspäht. Wenn Politiker nicht so wollen, wie die Energiewirtschaft, drohen sie mit dem Konkurs einer Atomanlage, die dann herrenlos in der Landschaft stünde."
– Am selben Tag, als dieser Kommentar erschien, blockierten wieder einmal viele UmweltschützerInnen für mehrere Tage den THTR, um gegen ein mögliches Wiederanfahren des Reaktors zu demonstrieren. Die Auseinandersetzungen gingen also auch auf dieser Ebene weiter.
Es fehlte nicht an dramatischen Appellen. NRW-Minister Clemens forderte eine „gemeinsame Kraftanstrengung" aller Beteiligten, um einen „Feuerwehrfonds" über 500 Millionen Mark aufzulegen. Die Antwort der Stromkonzerne lautete: nein. Die Ruhrnachrichten schrieben am 29. 8. 1989: „Die Stromkonzerne seien auch der Meinung, daß die Abwicklung des Forschungsreaktors Angelegenheit des Bundes und des Landes NRW sei, die seinerzeit den Bau des Pilotprojektes vorangetrieben hätten."
„Sittenwidriges" Verhalten der Stromwirtschaft
Die NRW-Grünen, die damals noch nicht im Landtag waren, stellten im August 1989 einen Strafantrag auf Konkursverschleppung und prangerten die mangelnde „Durchgriffshaftung" an:
„Die Gesellschafter der HKG haben ihre Tochtergesellschaft mit einem extrem geringen Stammkapital ausgestattet, da 90 Millionen DM in keiner Weise für die Abdeckung des Geschäftszweckes und der sicher zu erwartenden Kosten des störanfälligen Betriebs und der Stillegungs- und Abrißkosten ausreicht. (...) Ein Verzicht auf die Durchgriffhaftung mit dem Hinweis auf die notleidenden „kleinen Stadtwerke" vernebelt nur die Sachlage: Zum einen sind die meisten ihr THTR-Engagement bedenkenlos und voller Enthusiasmus eingegangen und stehen zum Teil auch heute noch voll hinter dem Projekt; zum anderen kann die Landesregierung über ein Sonderprogramm für nachweislich aufgrund ihres THTR-Engagements notleidend gewordene Stadtwerke, dessen Inanspruchnahme an die Erfüllung von Auflagen in Richtung „Verbot des Bezugs von Atomstrom" und „Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung" gehen, ausreichende Hilfestellung geben.
Die Konkursverschleppung der HKG macht ein allgemeines Problem der AKW-Betreiber deutlich: Viele AKW werden in der Form der GmbH mit viel zu geringem Haftungskapital geführt (AKW Obrigheim mit 100 Mill. DM; AKW Brunsbüttel mit 63 Mill. DM; AKW Stade mit 60 Mill. DM). Wir Grünen halten die Wahl dieser Rechtsform für einen sittenwidrigen Versuch der Energiewirtschaft, sich gegenüber der Allgemeinheit aus der Verantwortung zu stehlen."
2017: Keinerlei Sicherungen für Rückstellungen für Rückbau!
Auf ein weiteres entscheidendes Versäumnis der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung von 2017 wies am 16. 9. 2024 Dirk Seifert auf seiner Homepage „umweltfairändern.de" hin:
„Um die Lasten der Atomkonzerne zu reduzieren, hatte die damalige Bundesregierung 2017 mit Unterstützung der Grünen eine „Neuordnung" beim Atomausstieg vorgenommen. Der gesamte Bereich der Atomabfälle wurde verstaatlicht und gegen eine Einmalzahlung von rund 24 Mrd. Euro wurden RWE, Vattenfall, PreußenElektra und Eon sowie weitere kleiner beteiligte Unternehmen von der weiteren Kostenverantwortung endgültig befreit.
Um die Kosten für die Atommülllagerung zu finanzieren, wurde mit der Einlage der Atomkonzerne ein staatlicher Entsorgungsfonds gebildet, der über eine entsprechende Geldanlage und Verzinsung sicherstellen soll, dass die anfallenden Kosten über die nächsten Jahrzehnte auf Basis dieser Kapitaleinlage gesichert werden können. Angesichts der Unsicherheiten im Kapitalgeschäft und der vor wenigen Monaten verkündeten deutlichen Verlängerung bei der Endlagersuche um mehrere Jahrzehnte, könnte es zu schon in diesem Bereich zu erheblichen Problemen kommen, für die am Ende die Steuerzahler*innen gerade stehen müssten.
Für den Rückbau der Atomkraftwerke aber sollten die Betreiber weiterhin allein verantwortlich bleiben. Die dafür erforderlichen Summen sollten weiterhin über sogenannten Rückstellungen in den Konzernen bereitgestellt werden. Diese Rückstellungen bedeuteten obendrein große Vorteile für die Unternehmen, denn sie waren bzw. sind steuerfrei, helfen den Unternehmen immer wieder auch bei der Finanzierung von anderen Projekten.
Auf eine Sicherung dieser Rückstellungen für den Abbau der Atommeiler in einem ebenfalls staatlich kontrollierten Fonds hat die Bundesregierung damals aber komplett verzichtet. Nicht einmal verbindliche Vorschriften zum Umgang mit den Rückstellungen und deren Sicherung hatte die Bundesregierung erlassen oder gesetzlich geregelt. So hatten und haben die Konzerne weiterhin komplett freie Hand. Das war vielfach als naiv und kurzsichtig kritisiert worden, – oder aber Kalkül."
2024: Verzehnfachung der Rückbaukosten seit 1989
Interessant ist, von welchen Rückbaukosten die Betreiber vor 1989 in ihren öffentlichen Verlautbarungen ausgegangen sind. Es waren nach Angaben von „Der Spiegel" vom 24. 4. 1989 nur 180 Millionen DM (nicht Euro), die sich dann später auf 400 Millionen DM erhöhten. Wenn heute von einer Milliarde Euro, die sicherlich nicht das Ende der Fahnenstange sein werden, ausgegangen wird, wäre das deutlich mehr als eine Verzehnfachung der Rückbaukosten innerhalb von 35 Jahren!
In den aktuellen Verlautbarungen über einen bald anstehenden Rückbau des THTR sagt die HKG nur das, was seit 54 Jahren ohnehin klar ist und von Anfang an so geplant war: Die Rückbaukosten können von den Gesellschaftern der HKG nicht aufgebracht werden. Deswegen brachte sie im Juni 2024 beim Landgericht in Düsseldorf eine Feststellungsklage auf Übernahme der Kosten durch das Land NRW und den Bund ein. Die Prozessakten umfassten nach WA-Angaben vom 25. Juni 2024 eintausend Seiten. „Kleine HKG-Gesellschafter wie die Stadtwerke Bielefeld (8 Prozent Beteiligung) geraten wegen der zu bildenden Rücklagen aktuell in die roten Zahlen" schreibt die Zeitung und fährt fort: „441 Millionen Euro sind seit der THTR-Stilllegung im Jahr 1989 in den sicheren Einschluss geflossen. Der Bund trug davon 133 Millionen Euro das Land 152 Millionen Euro und die Gesellschafter der HKG 156 Millionen Euro."
Die Klage der HKG auf Übernahme der Kosten durch Land und Bund ist von der 10. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf am 30. August 2024 abgewiesen worden. Eine unbegrenzte Haftung sei aus dem zwischen den jeweiligen Parteien abgeschlossenen Rahmenvertrag nicht ableitbar. Auf der Internetplattform „Telepolis" wies am 14. 9. 2024 Christoph Jehle darauf hin, dass die roten Zahlen in der Bilanz der beteiligten Stadtwerke die Finanzierung des Netzausbaus verteuern dürfte „und somit die Energiewende in ihren Versorgungsgebieten auf wackelige Beine stellt".
Insolvenzantrag der HKG steht kurz bevor
Über den weiteren Gang der Ereignisse berichtete das „Handelsblatt" am 4. September 2024:
„Nach Angaben der nordrhein-westfälischen Wirtschafts- und Energieministerin Mona Neubaur (Grüne) steht die Betreibergesellschaft vor der Insolvenz. Das Land NRW muss nun in die Bresche springen und Firmen beauftragen, die statt der Betreibergesellschaft den Abriss der Anlage organisieren. Schätzungen zufolge belaufen sich die Kosten des Rückbaus auf eine Milliarde Euro.
Neubaur kündigte am Donnerstag an, die Rechnungen an den Bund weiterzureichen. Insider berichten, das Land NRW habe gute Chancen, seine Kosten beim Bund abzuladen.
Neubaur sagte am Donnerstag vor dem Wirtschaftsausschuss des NRW-Landtags, die Betreibergesellschaft habe der Atomaufsicht des Landes mitgeteilt, dass ihre finanzielle Liquidität „akut gefährdet" sei. Die Betreibergesellschaft beabsichtige, „in den nächsten Wochen einen Insolvenzantrag zu stellen", sagte Neubaur.
Man bereite sich daher auf die Insolvenz des Unternehmens vor und suche bereits nach Unternehmen, die die Aufgaben der Betreibergesellschaft übernehmen könnten. Dazu zählt etwa, den Rückbau der Anlage vorzubereiten. Neubaur betonte, die finanzielle Verantwortung liege beim Bund. „Da das Land das Atomgesetz im Auftrag des Bundes ausführt, werden wir die Kosten beim Bund geltend machen", sagte sie weiter."
Der ursprüngliche Zeitplan für den Rückbau
Im Mai 2008 hat die Ingenieurgesellschaft Siempelkamp NIS im Auftrag der HKG ein sechsseitiges Gutachten „Kosten des Rückbaus des THTR 300" erstellt. Die Kosten wurden damals mit 347,1 Millionen Euro angegeben, heute wird die dreifache Summe genannt. Weiterhin wird in dem Gutachten davon ausgegangen, dass der „Rückbau der aktivierten Komponenten" frühestens 2030 erfolgen wird. Im „Fazit" werden 21 Jahre für den Rückbau angegeben. Demnach sind die einzelnen Abschnitte folgendermaßen aufgeschlüsselt:
5,3 Jahre Planung und Genehmigung
2 Jahre Vorbereitung der Anlage für den Rückbau
12 Jahre Rückbau nuklear
2 Jahre Rückbau konventionell
Wohin mit Putonium, Uran und radioaktivem Abfall?
Selbst wenn sich nach Angaben der Betreiber im WA vom 30. 12. 2019 die Radioaktivität von bestimmten Komponenten des Reaktors bis zum Jahr 2030 um den Faktor 1000 reduziert haben sollte, so bleiben immer noch 1,0 bis 1,6 Kilogramm Spaltstoff übrig. Dieser enthält neben kleineren Mengen Plutonium vor allem hochradioaktives erbrütetes Uran 233 mit einer Halbwertzeit von 160.000 Jahren. Die Betreiber versuchen das Problem des hochradioaktiven Abfalls zu bagatellisieren, indem sie die Hauptaufmerksamkeit auf den erwarteten geringer belasteten Bauschutt der Außenanlagen lenken.
Die im WA-Artikel genannten 295 Tonnen von festem radioaktiven Abfall müssten bei einem Rückbau so behandelt werden, dass radioaktiver Staub nicht nach Außen gelangt. Einen Nuklidatlas für die einzelnen Komponenten und Anlagenteile, wie ihn die Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm schon vor Jahrzehnten gefordert hatte, gibt es nicht. Es ist also bei einem Rückbau nicht genau klar, wo sich welche radioaktive Strahlung befindet. Das wäre angesichts der vielen Störfälle und des damals entstandenen und entwichenen Kugelbruch-Staubes dringend geboten!
In den 90er Jahren fanden 59 Bahntransporte von radioaktiven Brennelementen durch Hammer Wohngebiete nach Ahaus statt. Bei einem Rückbau der gesamten Anlage kommen einige hundert gefährliche Transporte auf uns zu. Aber Transporte wohin? Ein Endlager für radioaktiven Atommüll gibt es in der BRD frühestens 2074! Der THTR-Müll müsste also jahrzehntelang zwischengelagert werden. Vielleicht in Uentrop in einer nicht vor Flugzeugabstürzen ausgelegten Lagerhalle ähnlich wie in Ahaus? Oder woanders?
Ein Rückbau des THTR würde eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellen. Deswegen ist eine ausführliche Diskussion hierzu notwendig, um die Bevölkerung an den zukünftigen Entscheidungen zu beteiligen. Die Stadt Hamm müsste ebenfalls gehört werden. Letztenendes kann es leider nur darum gehen, die am wenigsten schlechteste Lösung für den zukünftigen Umgang mit der strahlenden Ruine zu finden. Die Betreiber sollten möglichst bald einen Entwurf für ein umfassendes Rückbaukonzept vorlegen, damit es dann in der Öffentlichkeit und in den zuständigen Gremien ausführlich diskutiert und bewertet werden kann.
An der Homepage der HKG gehen die aktuellen Entwicklungen spurlos vorbei, man findet hierzu kein einziges Wort. Einige Links funktionieren nicht mehr und für eine möglicherweise gewünschte Kontaktaufnahme wird dort nur noch auf ein „hochmodernes" Kommunikationsmittel verwiesen: ein Faxgerät.
Ist ein baldiger Rückbau sinnvoll?
Grundsätzlich wäre angesichts vieler ungeklärter Probleme bei Transport und Lagerung zu hinterfragen, ob ein Rückbau des THTR zum jetzigen Zeitpunkt wirklich sinnvoll wäre. Der Atommüll müsste so oder so jahrzehntelang zwischengelagert werden. Und da wir am Beispiel des Brennelemente-Zwischenlagers (BEZ) in Ahaus erfahren haben, wie es dort um die Sicherheit bestellt ist, sind niedrige Standards zu erwarten.
Die Zwischenlagerung der THTR-Brennelemente im BEZ kostet laut HKG Businessplan aus dem Jahr 2012 von 2013 bis 2055 etwa 78 Millionen Euro (Bundestagsdrucksache 17/14588). Wenn große Mengen radioaktives Material aus dem THTR-Rückbau hinzukommen würden, werden sich die Kosten um jährlich viele Millionen Euro erhöhen. Sonderlich günstig wäre diese Art der Lagerung im Vergleich zur Fortsetzung des „sicheren Einschlusses" nicht, zumal noch immense Transportkosten hinzukommen würden. Die Kosten der aktuell geplanten Transporte der Brennelemente von Jülich nach Ahaus werden zur Zeit mit 40 Millionen Euro beziffert, hinzu kämen ca. 100 Millionen Euro für Polizeieinsätze. Die Genehmigung für den Betrieb des Lagers in Ahaus läuft 2036 aus. Ein anvisierter Rückbau ohne Zwischenlager für den radioaktiven Müll, der genau in dieser Zeit anfallen würde, wäre sicherlich keine gute Option.
Wenn nicht über die Köpfe der Bevölkerung hinweg entschieden werden soll, werden sich die Menschen in Hamm und Umgebung in die Diskussion und Entscheidungsfindung über den THTR-Rückbau in ihrem eigenen Interesse engagiert einbringen müssen.
Buchtip:
„Kehrtwende in Hamm: Wege zur nachhaltigen Stadt mit lebenswerter Zukunft". Die Herausgeber Edmund A. Spindler und Ulrich Schölermann stellen die Stadt Hamm auf den ökologischen Prüfstand. Dieses Buch schildert beispielhaft die Situation der Planungspraxis der Stadt Hamm. Elf Autoren wollen in ihren Beiträgen eine Diskussion zur
Nachhaltigkeit, zur Begrenzung des Klimawandels, zur Minimierung des Flächenverbrauchs, zum Erreichen der Verkehrswende und zum Boden- und Landschaftsschutz anstoßen. Sechs Zeitzeugen beschreiben in Interviews ihre Eindrücke über die Vorgehensweise städtischer Planer in Hamm.
Das 267seitige Buch kann beim Verlag Dorothea Rohn bestellt werden und ist im Buchhandel über die ISBN-Nr. 978-3-946319-33-7 zum Preis von 23,00 Euro erhältlich.
Buchbesprechungen
Das Buch "Breslau/Wrocław 1933 – 1949. Studien zur Topographie der Shoa" macht in 27 Beiträgen und auf 624 Seiten sowie 270 Abbildungen die von den Nazis zerstörten und damit im Stadtbild nicht mehr existierenden Orte jüdischen Lebens wieder sichtbar und dokumentiert die dramatische Geschichte der drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands.
Topographie der Shoa in Breslau/Wrocław
„Menschen retten! Wie ziviler Widerstand jüdische NS-Verfolgte vor der Deportation bewahrte" Verlag Graswurzelrevolution, 87 Seiten, 12,90 Euro. Vielen Menschen erschien es als völlig undenkbar, gegen einen hochgerüsteten, extrem brutalen und zu allem fähigen Angreifer etwas mit gewaltfreien Mitteln ausrichten zu können. Und doch hat es den eigentlich „unmöglichen" zivilen Widerstand gegeben. Hierüber berichtet das jetzt erschienene Büchlein „Menschen retten!" an Beispielen aus Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Frankreich.
Menschen retten! Gewaltfreier Widerstand zur Rettung von Jüdinnen und Juden vor den Nazis
HKG-Unterhosen, Überzieher vom Kraftwerksleiter, Anzug vom Forschungsminister ....
... und eine Homestory über THTR-Schöpfer Schulten höchstselbst (er feierte sehr überschwänglich Karneval ...). – Ja, was ist das denn? Ein skurriles Modejournal? Nein, es ist der 144seitige Bild- und Textband „Das Atomzeitalter in Westfalen", herausgegeben vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) „für die Menschen" – oder sollte mensch sagen, für KonsumentInnen von Tratschlättchen? Monatelang tingelte die dazugehörige Ausstellung durch Warburg, Warstein, Bielefeld, Minden, Lippstadt, Wenden und Bünde. Zu Wort kommen hauptsächlich Befürworter der Atomkraft wie auf 18 Seiten der Fotograf Ludewig, der eine Schwäche für ausufernd-brutalistische Bilder von meterlangen „Hauptwarten" kerniger Kraftwerke hat und an seiner Dolchstoßlegende bastelt, als hätte es keine Störfälle gegeben: „ ... die Bürokratie, die gezielt als Mittel genutzt wurde, um Atomkraft über immer umfassendere Anforderungen, Genehmigungsverfahren und Prozesse zu Fall zu bringen ... ."
Andere Autoren (ohne binnen-I) stimmen in die übliche Litanei vom inhärent sicheren Reaktor ein, nur Angelika Claußen darf dagegenhalten und ich konnte bei ihr auf den letzten Drücker noch ein paar in Vergessenheit geratene Widerstandsaktivitäten der Bürgerinitiativen sowie zwei Bildchen unterbringen. Ein paar Demofotos und Aufkleber von anderen NRW-Atomstandorten, Gruß- und Vorwort garnieren die reichlich unausgewogene Mischung, die mit Steuergeldern fabriziert worden ist. Bis auf eine Ausnahme wurde unsere Widerstandsgeschichte bis zur Unkenntlichkeit verhunzt. Unsere Homepage „reaktorpleite" und meine „machtvonunten" werden hunderttausendfach besucht und genutzt, aber offensichtlich kaum von den Autoren dieses Buches.
Freunde der Natur und der Sponsoren
Am 22. 9. 2024 wurden der Naturlehrpfad Geithe eröffnet und die dazugehörigen Infotafeln sowie eine 48seitige farbige Broschüre von den Naturfreunden Werries präsentiert. Wichtiges Thema war Energiepolitik. Zum „Kern(sic!)kraftwerk" heißt es schmallippig nur: „Es wurde jedoch aufgrund von technischen, sicherheitstechnischen und wirtschaftlichen Bedenken nach nur zwei Jahren stillgelegt." - Kein Wort zu Störfällen, ausgetretener Radioaktivität, Kosten und jahrelangem gewaltfreiem Widerstand der Bevölkerung gegen dieses Projekt! Dafür wurden sechs (!) ganzseitige Grußworte gedruckt. Die Bezirksvertretung Uentrop unterstützte mit 15.000 Euro das Projekt und die zusätzlichen Sponsoren Trianel, Stadtwerke, Sparkasse, Hochschule usw. konnten sich ausgiebig präsentieren – und offensichtlich die Inhalte bestimmen und wichtige Aspekte der Geschichte einer Region einfach unterschlagen.
Das ist allerdings nicht Neues. Bereits im Jahr 1988 hatten die Naturfreunde zu ihrem 3. Bundestreffen in Lünen zwei Jahre nach dem THTR-Störfall und mitten während der Auseinandersetzungen um die Stilllegung des Pleitereaktors ausgerechnet den rechten CDU-Hardliner Laurenz Meyer von der VEW-Hauptverwaltung als Redner eingeladen und eine ganzseitige gesponserte Anzeige der VEW für Atomenergie im Programmheft der Großveranstaltung gedruckt. Wir haben damals von den Naturfreunden der Ortgruppe Hamm ein vierseitiges Flugblatt in einer Auflage von 5.000 Exemplaren dort verteilt und auf diesen Skandal hingewiesen (1).
An Hand dieser Beispiele wird deutlich, dass Andere die Geschichte unseres Widerstandes gegen den THTR nur zu gerne der Vergessenheit überantworten wollen. Wenn wir also in einem Jahr das 50jährige Bestehen der Bürgerinitiative Umweltschutz Hamm feiern, sollten wir uns überlegen, was wir dem entgegensetzen.
(1) Peinlich: Atomwerbung bei großem "Naturfreunde"-Bundestreffen!
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