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THTR Rundbrief Nr. 135, Mai 2011
Inhalt:
Lenkt sie ab - Gebt ihnen die Kugeln!
Die Stunde der Wunder-Täter
Anmerkungen von Rainer Moormann
Wählertäuschung -- 3 Monate, 7 Jahre oder 11 Jahre lang -- Was ist schlimmer?
Schluss-endlich!
Lenkt sie ab - Gebt ihnen die Kugeln!
Die Reisetasche hatte ich Freitagnachmittags schon in der Hand, um zu einem Öko-Kongress zu fahren. Das Telefon klingelte, ich zögerte kurz und griff doch noch zum Hörer, es könnte ja wichtig sein. Am anderen Ende die vertraute Stimme eines WA-Redakteurs, der nach der Katastrophe in Fukushima einen Artikel über das Ende des THTR schreiben wollte. "Bei nochmaliger Sichtung der alten Unterlagen und Berichte" sei ihm aufgefallen, dass damals gar kein "Störfall" passierte, sondern nur ein nicht meldepflichtiges "Ereignis" stattfand.
Das sagen übrigens auch die Betreiber des Reaktors, die es ja wissen müssen. Stimmt doch oder etwa nicht? -- Im ersten Moment etwas irritiert stellte ich meine Tasche ab, um schnell noch das volle Programm abzuspulen: zerstörte Kugeln, abgeschaltete Messgeräte, entwichene radioaktive Aerosole, Vertuschungsversuche ...
Während der kurzen Anreise zum Kongress malte ich mir schon aus, was im WA stehen könnte. Womöglich drohte die Überschrift: "Es war kein Störfall" (... so kam es auch). Während des Kongresses beruhigte ich mich wieder. Wer liest heutzutage überhaupt noch Zeitung? Oder Sätze, die mehr als fünf Worte lang sind? -- Also, kein Grund zur Panik - es steht ja nur in einer Zeitung, ein im Aussterben begriffenes Medium. Noch in den Monaten zuvor haben sich Journalisten mit einer kümmerlichen, für einen Euro bei Ebay angebotenen THTR-Brennelement-Kugel als "Exklusivmeldung" begnügen müssen. Manche haben sie sogar kreativ dazu genutzt, die ansehnliche Pannengeschichte des THTR wieder aufzurollen.
Es musste erst wieder etwas ganz Schlimmes passieren, bevor die meisten Menschen für eine gewisse Zeit wachwurden und mit ihnen die Medien. Großdemo mit mehreren Zehntausend in Köln (usw.) und jede Woche Mahnwachen und Demo in 800 Städten. Wer in Hamm über die wöchentlichen Teilnehmerzahlen informiert sein wollte, addierte zu den Angaben des Westfälischen Anzeigers ein- bis zweihundert hinzu und schon hatte mensch das richtige Ergebnis!
Es häuften sich die Anfragen nach Krebsstudien, wie gefährlich ist der THTR heute und wie war das damals 1986 mit dem -- nunja -- Störfall. Journalisten schauten mal wieder in Hamm vorbei, ich durfte im WA ein langes Interview auf Seite zwei geben, kurz, wir hatten alle Hände voll zutun. Zeit für den THTR-Rundbrief blieb dabei nicht. Ein Schritt der Bewegung ist wichtiger als tausend Seiten bedrucktes Papier. Da die Atomkonzerne um jeden Tag ihrer Lizenz zum Gelddrucken kämpfen, gilt: Bloß nicht nachlassen!
Springerpresse, FAZ am Sonntag, Focus: Sie entdeckten mal wieder ihr Herz für angeblich inhärent sichere Reaktorlinien, bei denen nichts Schlimmes passieren kann. Unseren THTR in Hamm. Oder der kleine AVR-Versuchsreaktor in Jülich. Wenn schon die Leichtwasserreaktoren weltweit in Verruf geraten sind, warum jetzt nicht wieder auf Kugelhaufenreaktoren setzen und dafür staatliche Subventionen abstauben, so wie es im sozialdemokratischen Stammland NRW seit 1961 üblich ist?
Dumm nur, dass ausgerechnet jetzt eine dreiteilige WDR-Serie und die Tagesthemen im Ersten Fernsehprogramm über den jülicher Störfall von 1978 berichteten. Damals lief radioaktives Wasser ins Erdreich aus und bei den aktuellen Abbauversuchen der teuren Reaktorruine offenbarten sich noch etliche andere Schwachstellen aus der Blütezeit des sozialde-mokratischen Staatsreaktors. Worüber Sozialdemokraten heute nicht mehr gerne reden. Um zu verhindern, dass dies doch geschieht, fiel der NRW-Wissenschaftsministerin Svenja Schulze ein grandioses Ablenkungsmanöver ein: Sie schickte die aufgeschreckte Medien-Meute mitsamt Umweltschützern hinter angeblich abhanden gekommene THTR-Brennelementekugeln in die Wüste!
Die mehrwöchige vorösterliche Hatz nach den ungeliebten Atom-Eiern liess den wahren - unter sozialdemokratischen Regierungszeiten erfolgreich verdrängten - Skandal im jülicher Kugelhaufenreaktor in den Hintergrund treten. Obwohl wir uns als Reaktorpleite-Homepage auf das Thema THTR spezialisiert haben, berichteten wir als einzige Homepage über dieses fingierte Kugelversteckspiel -- nicht!
Aus gutem Grund. Die Faktenlage war einfach zu unsicher und zu dünn. Die Möglichkeit, aus ihnen falsche Schlüsse zu ziehen zu groß. Nach Wochen stellte sich heraus, die Kugeln waren nie weg. Die Aufregung wurde von Ministerin Svenja Schulz künstlich erzeugt, damit über die wirklich wichtigen Dinge nicht geredet wird. Die rechte Landtagsopposition machte erwartungsgemäss Radau und forderte wegen "unverantwortlicher Panikmache" jetzt scheinheilig ihren Rücktritt. Die oben genannte dreiteilige Enthüllungsreportage des WDR wurde mit diesem letzten Kapitel der Farce einmal mehr verhüllt. So wird in diesem Land Politik gemacht.
Unsere Aufgaben als BI Hamm liegen jenseits dieser oberflächlichen Aufgeregtheiten. Wir wollen durch unsere Arbeit für immer und weltweit verhindern, dass THTR-Schrottreaktoren wieder hoffähig gemacht und gebaut werden.
Die Stunde der Wunder-Täter |
Auf Kosten der Fukushima-Opfer versucht die THTR-Lobby sich zu profilieren
Nur wenige Tage nachdem Teile Japans in Schutt und Asche gelegt worden sind und eine schreckliche, noch lang andauernde Atomkraft-Katastrophe die Menschen heimsucht, versucht die Lobby einer speziellen AKW-Variante aus dieser Katastrophe im wahrsten Sinn des Wortes Kapital zu schlagen.
Die ökonomischen Nutznießer der Forschung an Kugelhaufenreaktoren als Bestandteil der neuen geplanten Generation IV-Reaktoren treten in den publizistischen Verlautbarungsorganen der Energiekonzerne auf und verbreiten ihre seit Jahrzehnten immergleiche Litanei:
Mit ihren Wunder-Reaktoren gäbe es weder GAU noch Kernschmelze; sie seien inhärent sicher und aufgrund von Naturgesetzen könne einfach nichts Schlimmes passieren.
Dumm nur, dass ihr Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm nach einer endlosen Pannen- und Störfallserie (1) 1989 stillgelegt werden musste. Bei dem viele hundert Millionen Euro teuren Rückbau-Versuchen des kleinen 46 MWth (bzw. 13 Mwel) THTR-Forschungsreaktors im Forschungszentrum Jülich zeigt sich aktuell, dass beispielsweise aufgrund höherer Temperaturen und höheren Drucks lediglich anders gelagerte Probleme und Störfallmöglichkeiten auftreten als bei Leichtwasserreaktoren.
Rainer Moormann als beteiligter Wissenschaftler beim Abbau des Jülicher Forschungsreaktors hat diese Probleme in einer 2008 international viel beachteten Studie (2) eindeutig und sachlich benannt. Die Entwicklung des südafrikanischen HTR's, Pebble Bed Modular Reactor (PBMR) genannt, musste im Jahr 2010 eingestellt werden, nachdem bereits 1,5 Milliarden Euro ausgegeben worden sind. Hierüber reden die Propagandisten der HTR-Linie nicht so gerne.
Einer von ihnen ist Professor Antonio Hurtado (3). Er hat an der RWTH Aachen zum HTR promoviert und ist jetzt an der der TU Dresden Leiter der Professur Wasserstoff- und Kernenegietechnik. Wenige Tage nach der Katastrophe in Fukushima trauert er am 18. 3. 2011 in einem Interview mit Springers "Welt" nicht etwa um die vielen Opfer der Atomkatastrophe, sondern um seinen eigenen favorisierten Reaktortyp, mit dem er sein Geld verdient: "Das war zumindest in Deutschland das Aus für die wunderbare Technologie des inhärent sicheren Reaktors überhaupt. Aus meiner Sicht ist das eine große Schande und eine verpasste Chance, neben den laufenden Leichtwasserreaktoren auch Reaktoren im Portfolio zu haben, die im Hinblick auf die öffentliche Akzeptanz eine andere Sicherheitsphilosophie verfolgen". Zu den von ihm anvisierten Zukunftsperspektiven äußert er sich wie folgt: : "Das meiste Know-how ist hierzulande noch immer verfügbar. An der TU Dresden haben wir ein Kompetenzzentrum für Hochtemperatur-Reaktortechnik. Hier werden zahlreiche Projekte mit internationalen Partnern durchgeführt".
Hurtado nennt als HTR-Interessierte Länder "Kanada, China, Indien, die USA und zumindest bislang auch Japan" und weist auf einen weiteren räumlichen Schwerpunkt der HTR-Entwicklung in unserer Region hin: "Von Interesse ist bei unserem Nachbarn Polen die Berücksichtigung eines Kugelhaufenreaktors im Länderdreieck Polen, Tschechien und Deutschland. Dort könnte die Prozesswärme des Reaktors gut genutzt werden, um eine kohlendioxidfreie Veredlung der heimischen Braunkohle aus dem dortigen Revier zu ermöglichen".
Eine Glanzleistung subtil-schräger Demagogie leistete sich am 27. März 2011 Alard von Kittlitz in der FAZ-Sonntagszeitung in der völlig ernst gemeinten Hymne auf den THTR-Pleitereaktor "Die Schönste der Maschinen"! Es ist schon erstaunlich, mit welcher Dreistigkeit dieser Kittlitz die jahrelangen beängstigenden Erfahrungen der westfälischen Bevölkerung mit diesem Pannenreaktor in Hamm hinwegwischt und ihn zu einem Wunschobjekt seiner makaber-durchgeknallten technikgläubigen Obsession macht:
"So was gab es aber einmal, mindestens das Ver-sprechen darauf, und zwar in Nordrhein-Westfalen, in Hamm-Uentrop. Bis die Katastrophe von Tschernobyl kam, alle den Kopf verloren, und die Politik meinte, auch die Kopflosen als Wähler zu brauchen. Da riss man den vielversprechendsten Brückenkopf in die Zukunft wieder ab, denn auch der strahlte, und alle Strahlung war schlecht geworden. (...) Der THTR war ein Wunderwerk. (...) So kam es, dass man den THTR 300, dessen silbern glänzender Kühlturm später fast zum Denkmal erklärt wurde, im September 1989 unter Gezänk endgültig abschalten ließ, und damit die Thorium-Technologie in Deutschland."
Zänkische Atomkraftwerksgegner zerstören den silbern glänzenden Hoffnungsschimmer der Atomgemeinde -- "Die Schönste der Maschinen", den THTR! -- Diese hingebungsvollen Lobeshymnen auf einen gescheiterten Pannenreaktor wirken auf diejenigen, die die Störfälle und die vielen Blockaden und Demonstrationen in den 80er Jahren am THTR in Hamm miterlebt haben, unwirklich und peinlich. Als esoterische Dolchstoßlegende erscheint sie aber nicht in irgendeinem obskuren rechten Sektenblättchen, sondern in der führenden Zeitschrift des bundesdeutschen Unternehmertums und erhält hierdurch ein anderes Gewicht. Dafür, dass ihre einträglichen Gewinne und Subventionen auch in Zukunft gesichert sind, bringt die THTR-Lobby jetzt ihre Schreiber und Professoren sogar auf Kosten der Opfer in Fukushima in Stellung. Wir werden diesem widerlichen Schauspiel unsere Argumente und unsere Aktionen entgegensetzen.
Links:
- Siehe: http://www.reaktorpleite.de/die-thtr-pannenserie.html
- Siehe: http://www.reaktorpleite.de/htr-studie-2008-r-moormann.html
- Siehe: http://www.reaktorpleite.de/nr.-117-november-07.html
Anmerkungen von Rainer Moormann |
Zu dem Interview mit Prof. A. Hurtado in 'Die Welt' vom 18.03.2011 zum Thema: 'Gibt es sichere Kernkraftwerke?'
Im o.g. Interview wird ein Kugelhaufenreaktor als inhärent sicheres AKW bezeichnet und als mögliche Alternative zur herkömmlichen Reaktoren vorgeschlagen. Diese Darlegungen vermitteln aus den nachfolgend genannten Gründen ein erheblich zu positives Bild dieser Technologie:
1. Kugelhaufenreaktoren sind sehr weit von einer technischen Realisierbarkeit entfernt.
Südafrika hat nach mehr als 10 Jahren Entwicklungszeit im vergangenen Herbst den Kugelhaufenreaktor (PBMR) aufgegeben, nicht ohne ca. 1.5 Mrd € investiert zu haben. In diese Entwicklung war die deutsche Kugelhaufencommunity intensiv eingebunden.
Gründe für den Abbruch des Projektes waren nach Angaben der Regierung:
- Kostenanstieg um mehr als das 20-fache der ursprünglichen Prognose und gravierende Zeitverzögerungen, beides verursacht durch ungelöste technische und sicherheitstechnische Probleme
- Ausstieg aller Investoren und Kunden aus dem Projekt
Die Regierung kündigte an, im Falle des evtl. zukünftigen Baus von AKW nicht weiter auf Kugelhaufenreaktoren zu setzen, sondern auf konventionelle Reaktoren, da sie Kugelhaufenreaktoren noch im experimentellen Stadium sieht.
2. Sicherheitseigenschaften von Kugelhau-fenreaktoren sind noch erheblich ungünstiger als diejenigen moderner Leichtwasserreaktoren.
Lothar Hahn, später technischer Geschäftsführer der halbstaatlichen GRS (Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit, Köln) hat schon in einem Gutachten vom Juni 1986 die Sicherheitseigenschaften von Kugelhaufenreaktoren analysiert und kommt dabei zu folgendem Schluss:
Zur angeblichen "inhärenten" Sicherheit des HTR: Seit den Anfängen der Hochtemperaturreaktor-Entwicklung wird von interessierter Seite versucht, der Öffentlichkeit zu suggerieren, der HTR sei "inhärent" sicher. Diese geschickt eingefädelte Werbestrategie hat ohne Zweifel einen gewissen Erfolg gehabt, denn sie hat zu einer - selbst in der Atomenergiedebatte - beispiellosen Desinformation geführt. Wie kaum eine andere Behauptung der Atomindustrie beruht sie auf wissenschaftlich nicht haltbaren Annahmen und auf unzutreffenden Schlussfolgerungen. (1)
Aufbauend auf dem Gutachten von Hahn, aber unter Berücksichtigung des aktuellen Kenntnisstandes soll hier kurz dargelegt werden, weshalb die Argumentation von Hurtado den Kern nicht trifft.
a) Hurtado argumentiert, beim Kugelhaufenreaktor sei kein Kernschmelzen wie z. B. beim Leichtwasserreaktor möglich. Die Aussage ist richtig, geht aber am eigentlichen Problem vorbei. Es geht nicht primär um die Möglichkeit des Kernschmelzens, sondern um die Frage, ob und wie radioaktive Spaltprodukte (die "radioaktive Wolke") freigesetzt werden können.
b) Kugelhaufenreaktoren ähneln ihrem Aufbau und ihrem Sicherheitsverhalten nach aber eher dem Chernobyl-RBMK-Reaktor als konventionellen Leichtwasserreaktoren und können daher hinsichtlich ihres Störfallspektrums nur begrenzt mit Leichtwasserreaktoren verglichen werden.
c) Beim Kugelhaufenreaktor sind nicht Kernschmelzunfälle sicherheitsbestimmend, sondern:
Wassereinbruchstörfälle
(Bildung explosionsfähiger Gasmischungen, Korrosion und Zerstörung von Brennelementen, Erhöhung der nuklearen Reaktivität).
Lecks im Reaktorbehälter, die:
- unmittelbar zur Freisetzung großer Mengen in den Reaktoren angesammelten radioaktiven Staubes in die Umgebung führen, da Kugelhaufenreaktoren keinen dichten Sicherheitsbehälter wie konventionelle Reaktoren (z.B. Fukushima) haben können.
- Lufteinbruch zur Folge haben (Ergebnis: Graphitbrand wie in Chernobyl mit Zerstörung der Brennelemente und Freisetzung eines großen Teils des radioaktiven Inventars); wegen des Fehlens eines dichten Sicherheitsbehälters beim Kugelhaufenreaktor verlaufen solche Störfälle, ähnlich wie in Chernobyl (ebenfalls kein dichter Sicherheitsbehälter) katastrophal.
d) Hurtado argumentiert, den Kugelhaufenreaktor könne man wegen eines negativen Temperaturkoeffizienten (2) nicht mit dem Chernobyl-RBMK vergleichen. Das ist irreführend, denn ursächlich für den Chernobyl-Unfall war nicht primär ein positiver Temperaturkoeffizient sondern ein positiver "void-Koeffizient der Reaktivität" (3) im System Wasser-Graphit, welcher zum Durchgehen des Reaktors führte. Solche positiven void-Koeffizienten sind zwar im Leichtwasserreaktor unmöglich nicht aber im Kugelhaufen-Reaktor bei einem schweren Wassereinbruchstörfalls bei laufendem Reaktor. Das liegt am hohen Graphitanteil im Kugelhaufenreaktor, ähnlich wie im Chernobyl-Reaktor. Einen schweren Wasserein-bruchstörfall bei laufendem Reaktor hat es beim Versuchs-Kugelhaufenreaktor AVR durch menschliches Versagen 1978 gegeben. Glücklicherweise reichte die Wassermenge im Reaktorkern damals nicht für ein Durchgehen des Reaktors.
e) Ein ganz schwerer Sicherheitsnachteil von Kugelhaufenreaktoren liegt in der Tatsache, dass man prinzipiell im Reaktorkern nicht zeitnah messen kann. Viel zu hohe und sicherheitsgefähr-dende Temperaturen im AVR-Reaktorkern blieben so bis kurz vor dessen Betriebsende verborgen.
f) Hurtado argumentiert mit der hohen Qualität des Kugel-Brennelements, das angeblich 1620°C aushalten kann. Das ist irreführend, da das nur für kurze Zeiten gilt. Setzt man die Brennelemente für längere Zeit hohen Temperaturen aus, wandern radioaktive Teichen massiv aus den Brennelementen heraus. Das geschah im AVR Versuchsreaktor mit folgendem Ergebnis: Der Reaktor wird auch 80 Jahre nach Stilllegung im besten Fall fernbedient zerlegt werden können, evtl. garnicht (in jedem Fall extrem hohe Kosten).
g) Die Entsorgungskosten von Kugelhaufenreaktoren sind prinzipbedingt noch viel höher (Faktor 5 - 10) als bei konventionellen Reaktoren. Für Graphit gibt es überhaupt noch keine einigermaßen kostenverträgliche Lösung.
h) Es gibt in der deutschen Energiewirtschaft seit langem kein Interesse mehr am Kugelhaufenreaktor. Das liegt vermutlich an den schlechten Betriebsergebnissen der deutschen Kugelhaufenreaktoren AVR und THTR-300. Frankreich (Areva) hat sein HTR-Programm faktisch eingestellt.
Rainer Moormann
Anmerkungen:
- Siehe: http://www.reaktorpleite.de/htr-sicherheit-1986-l-hahn.html
- Negativer Temperaturkoeffizient:
Der Temperaturkoeffizient (deutsch: Temperaturbeiwert) beschreibt die relative Änderung einer Materialeigenschaft oder eines Bauteils in Abhängigkeit von der Änderung der Temperatur gegenüber einer festgelegten Temperatur. Ein negativer Temperaturkoeffizient meint hier, dass die Reaktorleistung mit steigender Temperatur abnimmt. - Void-Koeffizient der Reaktivität:
Ein positiver void-Koeffizient meint, dass die Reaktorleistung bei Abnahme der Wasserdichte im Reaktorkern (z.B. durch Verdampfen von flüssigem Wasser) zunimmt. Dann wird es also heisser und es verdampft mehr Wasser, d.h. die Reaktorleistung steigt weiter usw. bis der Reaktorkern sich zerlegt. Das war die Ursache des Chernobyl-Reaktorunfalls. Im HTR kann es ebenso dazu kommen, wenn Wasser bei einem Störfall in den Reaktorkern eindringt. Sehr grosse Mengen Wasser sind bei laufendem AVR 1978 durch den Kern geflossen. Beim HTR hatte man solche Störfallabläufe einfach nicht untersucht. Es kam erst 1987 heraus, als externe Gutachter im Zuge einer Sicherheitsüberprüfung von einem Chernobyl-analogen Verhalten sprachen.
Wählertäuschung -- 3 Monate, 7 Jahre oder 11 Jahre lang -- Was ist schlimmer? |
Die Entscheidung der Bundesregierung, jetzt 7 Atomkraftwerke in der BRD für drei Monate lang abzuschalten, wirft Fragen auf. "Warum geht es plötzlich doch ohne Probleme mit weniger AKW? Lautete nicht ein Argument, dass ohne eine Laufzeitverlängerung die Energieversorgung gefährdet sei? Nun klappt es auf einmal auch, wenn nur noch zehn Atomkraftwerke Strom liefern. Und was steckt hinter dem doch sehr schnellen Handeln" (1)?
SPD und Grüne beschwerten sich bitterlich über schwarzgelbe Wahltaktik und Wählertäuschung vor den anstehenden Landtagswahlen und fragten vorwurfsvoll: Warum hat es nicht vorher mit dem AKW-Abschalten geklappt?
- Und warum nicht schon während der 7 Jahre rotgrü-ner Koalition (1998 -- 2005) oder während der Zeit des geltenden "Atomausstiegs" (1998 -- 2009), fragen wir Atomkraftwerksgegner! Warum geht plötzlich alles, was unter Rotgrün ganz und gar unmöglich war?? Mit den jetzigen rotgrünen Oppositionspolitikern beschweren sich also genau diejenigen, die es während ihrer eigenen Regierungszeit nicht einmal geschafft haben, ein einziges zusätzliches Atomkraftwerk stillzulegen!
Darüberhinaus hat im Jahre 2005 die rotgrüne NRW-Landesregierung der Erweiterung der Urananreicherungsanlage (UAA) Gronau von bisher 1.800 Tonnen Urantrennarbeit auf 4.500 Tonnen pro Jahr zugestimmt und auf 150 entstehende Arbeitsplätze verwiesen (2). Mit dem dort produzierten Brennstoff werden über 30 Atomkraftwerke in Europa beliefert. Wenn am Tschernobyl-Jahrestag auch Sozialdemokraten und Grüne in Gronau protestieren, demonstrieren sie gegen eine Nuklearanlage, für deren Erweiterung ihre eigenen NRW-Landtagsfraktionen gestimmt haben!
Desweiteren sei hier auf die ganz speziellen nord-rheinwestfälischen Erfahrungen in Sachen Förderung von Hochtemperaturreaktoren unter einer rotgrünen NRW-Landesregierung und Bundesregierung gleichzeitig verwiesen. Beide Regierungen unterstützten mit Dutzenden von Millionen Euro aus dem Staatshaushalt nukleare Projekte, Studien und Untersuchungen an NRW-Versuchsanlagen in dem Forschungszentrum Jülich (3). Zahlreiche Protestbriefe und Fragenkataloge unserer Bürgerinitiative zu diesem Thema wurden von den rotgrünen Regierungen bis zu ein Jahr lang überhaupt nicht beantwortet, bis dann irgendwann ein nichtssagendes Schreiben eintrudelte (4). -- Am 12. Juli 2004 wurde sogar die Weiterforschung an der Hochtemperaturtechnologie von der NRW-Landesregierung als "wertvoller Beitrag zu internationalen Sicherheit von HTR-Reaktoren" (5) bezeichnet!
Während Landesumweltministerin Bärbel Höhn im Forschungszentrum Jülich, in dem weiterhin an der gefährlichen Nukleartechnologie weitergeforscht wurde, ständig zu irgendwelchen Terminen ein- und ausging, war es für uns als Bürgerinitiative plötzlich völlig unmöglich, mit den feinen rotgrünen Damen und Herren auf der Regierungsbank irgendeinen Dialog zu führen. Wir wurden gänzlich abgeschrieben und mit ein paar Worthülsen abgespeist (6)! Alle Ministerien mauerten ganz einfach. Selbst der Export deutscher Nukleartechnologie nach Südafrika für den PBMR ging weiter (7).
Während des angeblichen "Ausstiegs" gab es sogar Versuche von sozialdemokratischen und grünen Spitzenpolitikern, unter einer rotgrünen Regierung AKW-Laufzeiten wieder zu verlängern und Hochtemperaturreaktoren wieder bauen zu lassen!
Im Jahr 2001 propagierte Fritz Fahrenholt, als "Mitglied des Rates für nachhaltige Entwicklung beim Bundeskanzler" Schröder im "Vorwärts" eine verstärkte THTR-Forschung, um diese Reaktoren wieder bauen zu lassen (8). Im Jahr 2005 unterzeichnete das Grünen-Mitglied Frank Bsirke als Ver.di-Vorsitzender zusammen mit der rechtssozialdemokratisch ausgerichteten gelben "Gewerkschaft" IGBCE ein aufsehen-erregendes Positionspapier, in dem längere AKW-Laufzeiten und sogar eine Rücknahme des lächerlichen Pseudoausstieges gefordert wurde (9).
Und nicht zu vergessen: Der sozialdemokratische Bundesumweltminister Gabriel war es, der es im Jahre 2008 ablehnte, in der Umgebung des THTR Hamm eine Kinderkrebsstudie in Auftrag zu geben (10)!
Es ist fast schon eine Binsenwahrheit: Vollmundige Versprechungen in der parlamentarischen Opposition und späteres Versagen in der Regierung sind bei Parteien zwei Seiten einer Medaille.
Mögen hunderte von Mitgliedern der Parteien aus ehrlicher Empörung und aus ehrlichem Wollen heraus für einen wirklichen Atomausstieg auf die Straßen gehen. -- Auf der Regierungsbank vermasseln es die Parteioberen immer wieder gründlich und knicken vor der Atomlobby ein. Aus diesem Grund dürfen wir uns nicht auf die Versprechen von Parteien verlassen und sollten stattdessen auf unsere eigene Stärke bauen. Direkte Aktionen, ziviler Ungehorsam und Massenproteste machen den Regierungen Beine. Naive und gutgläubige Gefolgsleute erleichtern der Atomindustrie ihr Geschäft.
Die Vergangenheit zeigt: Wer sich von Rotgrün mit einer 30jährigen Bestandsgarantie für Atomkraftwerke abspeisen lässt, erhält später eine 42jährige Bestandsgarantie für AKW's durch Schwarzgelb als Quittung.
Wer die offensichtliche 3-Monats-Täuschung der jetzigen Bundesregierung durchschaut hat, sollte mit dem gleichen kritischen Bewusstsein die rotgrüne nuklearpolitische Vergangenheit zur Kenntnis nehmen und besser durch eigenständiges politisches Handeln in Bürgerinitiativen für eine atomfreie Zukunft kämpfen.
Anmerkungen:
- Neues Deutschland vom 16.03.2011
- THTR-Rundbrief Nr. 98 - März 2005
- THTR-Rundbrief Nr. 92 - August 2004 - Kernkompetenz bleibt in Jülich
- THTR-Rundbrief Nr. 89 - März 2004
- THTR-Rundbrief Nr. 92 - August 2004 - NRW Landesregierung freut sich über HTR-Nuklearexport
- THTR-Rundbrief Nr. 83 - Juli 2003
- THTR-Rundbrief Nr. 101 - Oktober 2005
- THTR-Rundbrief Nr. 71 - 2001
- THTR-Rundbrief Nr. 102 - November 2005
- THTR-Rundbrief Nr. 120 - März 2008
Schluss-endlich! |
X-Tausende Menschen werden sich im Juni 2011 gemeinsam dem Wiederanfahren der AKW widersetzen - mit großen, gewaltfreien Massenblockade-Aktionen direkt an den Kraftwerken. Infos: www.x-tausendmalquer.de
Anti-Atom-Großdemonstration in Münster
Samstag, den 28. Mai 2011. Auftakt: 12 Uhr, Münster Hauptbahnhof/Berliner Platz.
Anreise aus Hamm: Treff am Bahnhof um 10.30 Uhr. Mit 5er- Karten dann um 11.02 Uhr mit dem Zug.
Mit dem Fahrrad: Ab 8 Uhr vom HBf Hamm.
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