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THTR Rundbrief Nr. 85 Sept. 2003
Widerstand am Kap – Schweigen in Deutschland
Die Ereignisse überschlagen sich in Südafrika. Die Einspruchsfrist gegen die Genehmigung der Umweltverträglichkeitsprüfung für den geplanten Pebble Bed Modular Reactor (PBMR) lief am 25. Juli ab. Zahlreiche Proteste und öffentlicher Druck bewirkten, dass der Umwelt- und Tourismusminister Chippy Olver* die Einspruchsfrist bis zum 25. August verlängern musste.
In dieser Zeit hat die Handelskammer von Kapstadt, die bisher den Bau des PBMR nur 28 km nördlich der Dreimillionenstadt in Koeberg befürwortete, eine Neubewertung der Wirtschaftlichkeit dieses geplanten Reaktors vorgenommen. In diesen Tagen wurde nämlich bekannt, dass riesige Erdgasfelder an der Westküste Südafrikas entdeckt worden sind! Dieses Ereignis hat die Energiediskussion in Südafrika um Alternativen zur Atomkraft nachhaltig belebt. Eine neue Studie von Forest Oil stellte fest, dass ein Gaskraftwerk an der Westküste wirtschaftlicher sei und weitreichende Konsequenzen für die ökonomische Entwicklung haben würde.
In der Provinz Kapstadt regiert eine Koalition aus ANC und New National Party (die ehemalige Regierungspartei des Apartheidregimes), die bisher eher skeptisch gegenüber dem geplanten Bau des PBMR eingestellt war. Um jedoch den Koalitionsfrieden nicht zu gefährden, hat sich die Provinzregierung letztendlich doch für das Atomprojekt ausgesprochen. Allerdings fuhren Vertreter der Stadt Kapstadt mit ihren Bedenken nach Pretoria zur Bundesregierung und wurden dort gedrängt, die nationale Pro-Atomkraft-Linie des ANC zu unterstützen.
Doch die Mehrheit der Stadtverordneten Kapstadts entschied, den Oberstadtdirektor zu beauftragen, Widerspruch einzulegen. Was dieser dann am letzten Tag vor Ablauf der Einspruchsfrist tat. Dies ist ein wichtiger Teilerfolg!
Zufällig ist genau in jener Zeit einige hundert Meter vor Kapstadt ein Frachter mit 50 Tonnen mittelangereichertem Uran auf Grund gelaufen.
In Deutschland versuchen die Verantwortlichen für den Atomkraft Know How Export das Problem totzuschweigen. Umweltminister Trittin antwortet seit 6 Monaten nicht nur auf unsere Eingabe nicht, sondern ignoriert ebenfalls Fragen des grünen Kreisverbandes Münster. Forschungsministerin Bulmahn schrieb uns, dass das Forschungszentrum Jülich in Zukunft eine sogenannte Expertise zu einigen Sicherheitsaspekten des PBMR erstellen soll und antwortet auf unsere konkreten Nachfragen seit vier Monaten nicht. Außenminister Fischer, der im Jahre 2000 Südafrika besuchte und unter dessen Oberhoheit die aktuellen nuklearen Kooperationen zwischen Deutschland und Südafrika vereinbart worden sind, schweigt ebenfalls.
Allmählich werden wir uns überlegen müssen, wie wir mit dem Verhalten der Verantwortlichen umgehen sollen. Im August war ich bei unserem Webmaster Werner Neubauer in Berlin, um mittelfristig geeignete Protestorte bei gewissen PBMR-involvierten Regierungsstellen zu besichtigen und um Kontakte zu Medien und Gruppen in Berlin herzustellen. Hierüber wird später noch zu berichten sein. In diesem Zeitraum kam der Kontakt zu Südafrika zustande – ein absoluter Glücksfall! Innerhalb weniger Tage wurden 21 Seiten unseres Internetauftrittes www.thtr-a.de ins Englische übersetzt und innerhalb weniger Stunden ins Internet gestellt. Das war knapp: Einige Tage vor Ablauf der Einspruchsfrist stieg die Zahl der Internetzugriffe aus Südafrika sprunghaft an. Die südafrikanischen Umweltschützer wissen jetzt, dass es in Deutschland einen langfristigen Widerstand gegen die HTR-Technologie gab und gibt und dass sie nicht alleine mit ihrem Kampf dastehen. Da die Diskussion weitergeht und zu den verschiedenen anderen Aspekten des PBMR's noch weitere Entscheidungen anstehen, wird zur Zeit geprüft, ob weitere Gutachten, Stellungnahmen oder Bücher über den THTR aus Deutschland ins Englische übersetzt werden sollen. In einem Bürgerantrag werden wir an die Stadt Hamm herantreten, damit auch ein offizieller Erfahrungsaustausch zwischen Hamm und Kapstadt zustande kommt.
Horst Blume
(Quellen: "Cape Argus" vom 28. Juli, 25. und 26. August; "The Star" vom 6. Juni und 28. Juli; "Green Clippings" vom 29. Juli; "Netzeitung" vom 22. August 2003)
*Chippy Olver war früher prominenter Aktivist der End Consription Campaign (ECC), der Kampagne zur Abschaffung der Wehrpflicht
1982: ANC-Anschlag auf AKW-Koeberg |
In Koeberg stehen am Atlantik bereits zwei Druckwasserreaktoren mit jeweils 922 MW Leistung. Es ist das einzigste Atomkraftwerk in Afrika. 1982 hat der ANC durch zwei Sabotageaktionen am 18. 7. und am 20. 12. wenige Tage vor der Beladung mit Brennstäben die Inbetriebnahme verzögern können. Er tat dies, weil er verhindern wollte, dass das weiße Rassistenregime mit Hilfe des dort entstehenden Plutoniums seine militärische und wirtschaftliche Machtposition im südlichen Afrika ausbauen konnte. Heute befürwortet der ANC als Regierungspartei den Bau der neuen Reaktorlinie direkt neben den beiden alten Reaktorblöcken.
(Quelle: "informationsdienst südliches Afrika" Nr.: 3/1983)
Die Entwicklung des PBMR in Südafrika im letzten Jahr |
Der folgende Text aus "Nuclear Monitor" (WISE-Amsterdam) Nr. 582 vom 31.1. 2003 beleuchtet die Entwicklung des PBMR’s im letzten Jahr genauer:
Am 15. Januar 2000 wurde der südafrikanischen Maschinenfabrik Murray und Roberts in einem Joint-Venture mit dem US-Unternehmen Stone + Webster und unterstützt durch das Unternehmen Proman Management Services ein Vertrag angeboten, den PBMR zu liefern. Murray und Roberts waren für den Grundentwurf und für die Machbarkeitsstudie einer nuklearen Brennstoffanlage des PBMR verantwortlich, die in Pelimdaba in der Nord-West Provinz gebaut werden sollte.
Nach Fertigstellung der umstrittenen Umweltverträglichkeitsprüfung für den PBMR erstellten Angela Andrews und Adrian Pole vom "Legal Resources Centre" im Auftrage der örtlichen Aktivistengruppe "Earthlife Afrika" eine 150seitige rechtsgültige Analyse, die Expertenaussagen anerkannter Wissenschaftler und staatlicher Beamter enthält. Inzwischen war die zugestandene Zeit für öffentliche Stellungnahmen beendet.
Die Umweltverträglichkeitsprüfung wurde in den folgenden betroffenen Provinzen zwecks Stellungnahme in Umlauf gebracht: das westliche Kapland (Kapstadt), Kwazulu-Natal (Durban), Gauteng (Johannesburg) und der Nordwesten (Pelindaba), der für den Bau des Erprobungsreaktors in Betracht gezogen wurde. In Kapstadt soll der Demonstrationsreaktor stehen. Durban ist als Standort für den Import von angereichertem Uran vorgesehen. Gauteng wird an der nordwestlichen Grenze als Bauplatz für die Brennstoffwiederaufbereitungsanlage, die von der Nuclear Energy Corporation of South Africa (NECSA) geführt werden soll.
Seltsamerweise wurden sämtliche kritischen Äußerungen bezüglich des atomaren Abfalls von der öffentlichen Debatte ausgenommen. Hiermit soll sich in ferner Zukunft die nationale Energiebehörde befassen - und dass, obwohl Koeberg weiterhin seinen hochradioaktiven Abfall selbst lagert. Die Anlagen für mittel- und schwach radioaktiven Abfälle des nördlichen Kaplands Vaalputs werden weiterhin von der NECSA verwaltet (...)
Am 3. Dezember 2002 wurde der Sprecher der PBMR mit folgenden Worten zitiert: "Unsere Investoren müssen ihre Zustimmung geben, damit die nächste Phase des Projekts beginnen kann. Die ausführliche Machbarkeitsstudie (DFS) ist abgeschlossen und der Finanzierungsplan ist für Investoren zur Prüfung fertiggestellt worden. Weiterhin benötigen wir einen schriftlichen Bericht vom Ministerium für Umwelt und Touristik (DEAT) über die Umweltverträglichkeitsprüfung, den unsere Berater Ende Oktober beantragt haben." (...)
In der Woche bis zum 31. Januar 2003 waren alle Augen auf die westliche Kap-Provinz gerichtet, die als Standort für den PBMR vorgeschlagen worden ist. Während Premier Marthinus von Schalkwyk von der früheren Nationalpartei der Apartheitsregierung in der Provinz die Entwicklung in jeder Hinsicht unterstützte, waren sich die Beamten der Stadtverwaltung in Kapstadt (mit rund 3 Millionen Einwohnern) nicht so sicher.
"Eine runde Sache"?? |
Leider erreichte uns ein Artikel mit der oben genannten Überschrift aus der FAZ-Beilage vom 02.04.2003 erst jetzt. Wir dokumentieren teilweise:
Freude in Südafrika: Das Kugelhaufenmodulreaktor-Projekt (PBMR) hat große Fortschritte gemacht. Denn vor kurzem wurde eine Testanlage (ein Mikroturbinenmodell) für die Energiekonversion nach dem PBMR-Konzept erfolgreich in Betrieb genommen. Es handelt sich dabei um die weltweit erste mehrstufige Gasturbine mit geschlossenem Kreislauf.
Seit 1993 forscht das südafrikanische Energieunternehmen ESKOM an Kugelhaufenreaktoren. Damit belebt ESKOM eine Technologie, die seit rund 40 Jahren bekannt ist, aber bislang kaum weiterentwickelt wurde. Als Partner konnte ESKOM die Industrial Development Corporation und Britisch Nuclear Fuels gewinnen. Das amerikanische Versorgungsunternehmen Exelon war auch als Investor beteiligt, hat sich aber im vergangenen Jahr aus dem Projekt zurückgezogen. Inzwischen laufen Gespräche über weitere Beteiligungen.
Entwickelt und gebaut wurde die Testanlage am Fachbereich Ingenieurwesen an der südafrikanischen Potchefstroom-Universität in Zusammenarbeit mit dem Team des Kugelhaufenreaktor-Projekts. Die erfolgreiche Inbetriebnahme der Anlage zeigt laut Professor Gideon Greyvenstein, Dekan des Fachbereichs, dass die nun gewählten Konfigurationen der Einheit zur Energieumwandlung stabil und verlässlich sind. (...) Bei der Anlage handelt es sich um eine funktionsgetreue Nachbildung des zukünftigen PBMR-Kraftwerkes. (...) Zukünftig geplant ist der Bau eines 125 Megawatt-Kugelhaufenmodulreaktor-Prototypen bei Koeberg nahe Kapstadt, wo sich auch das einzige Kernkraftwerk Afrikas befindet. Daran angebunden wird ein Produktionsbetrieb für Brennstoffe bei Pelindaba nahe Pretoria, wo bisher Brennstoffe für Koeberg hergestellt wurden.
Dieses Konzept ermöglicht es, später weitere Module je nach Strombedarf hinzuzufügen. Vorausgesetzt es gibt genügend Kühlwasser, kann der Reaktor an beinahe jedem Ort in Betrieb genommen werden. Eine noch freiere Standortwahl ermöglicht die Trockenkühlung - allerdings würden damit die Kosten steigen.
Das Konzept der Kugelhaufenmodulreaktoren sieht für die kommerzielle Nutzung kleine Einheiten von jeweils 165 Megawatt Leistung vor. Der Kugelhaufenreaktor muss so konfiguriert werden, dass er aus verschiedenen kleinen Kraftwerken besteht, die zu zweit, viert oder acht gebündelt werden können, um so Hilfs- und Nebensysteme maximal auszunutzen. (...)
Die South African Nuclear Energy Corporation (NECSA), die einen Vertrag mit PBMR (Pty) Ltd geschlossen hat, um die Brennstoffherstellung auszubauen, macht gute Fortschritte bei der Entwicklung der anspruchsvollen Produktionstechnik für die Kugelbrennelemente. Erst vor kurzem wurde im Brennstofflabor erstmalig Uran beschichtet. PBMR Brennstoff basiert auf einem bewährten deutschen Brennstoffdesign (!?), das aus Teilchen aus schwach angereicherten, dreifach beschichteten Urankernen besteht, die in einer Graphitmatrix eingebettet sind. Ein einzelnes beschichtetes Teilchen aus Urandioxyd ist vierfach ummantelt. (...)
Gorleben: Der Castor kommt in der 2. Novemberwoche |
Am 4. September haben 14 Aktivisten der Bürgerinitiativen das Endlagerbergwerk in Gorleben besetzt und auf den nächsten geplanten Castortransport hingewiesen. Die Atomkraftgegner waren als offizielle Besuchergruppe in den Schacht eingefahren und verließen ihn erst um 21 Uhr. Am Eingang zum Bergwerk protestierten den ganzen Tag lang rund 100 weitere Umweltschützer. In der zweiten Novemberwoche sollen wieder zwölf Behälter mit hochradioaktivem Atommüll aus La Hague nach Gorleben rollen. Bei den Planungen für den Herbst spielt diesmal auch eine Rolle, dass es möglicherweise innerhalb von zwölf Monaten drei Transporte nach Gorleben geben wird. Denn ab 2004 sollen zu den jährlich zwölf Behältern aus Frankreich auch noch Sechs aus Sellafield ins Wendland rollen. Die Strategie der Polizei ist darauf angelegt, den Widerstand zu zermürben, damit dann spätestens bei den Transporten im nächsten Jahr deutlich weniger Beamten zum Schutz eingesetzt werden müssen. Denn wenn das nicht passiert, dann haben sie nächstes Jahr ein dickes Personalproblem.
Die Wendländer bereiten schon jetzt ein offenes Aktionskonzept vor, damit sich alle Widerstandswilligen am Tag X beteiligen können. Allerdings versuchen sie den bisher oft zu beobachtenden "Last-Minute-Widerstand" vieler Menschen schon Wochen vorher rechtzeitig in ihr Konzept zu integrieren. Weitere Infos sind zu erhalten bei:
01.11.2003: Großdemonstration gegen Sozialraub in Berlin |
Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen,
statt die Verantwortlichen niederzumachen.
- Georg Kreisler -
Sobald man die Abendnachrichten im Fernsehen ansieht, bricht eine wahre Flut von Meldungen über uns herein, wie sich die Politiker geradezu gegenseitig darin überbieten, in allen Bereichen des sozialen Lebens den Rotstift anzusetzen, mühsam erkämpfte bescheidene Rechte der ArbeitnehmerInnen zu beschneiden und als Gipfel der Unverschämtheit wollen sie auch noch das sogenannte Arbeitslosengeld II auf 345 bzw. 331 Euro absenken.
Es packt mich die kalte Wut, wie die Medienmeute bestimmte Ausnahmeerscheinungen wie Sozialhilfeempfänger im Ausland dazu benutzt, um eine hemmungslose Treibjagd auf die letzten Verteidiger des "Sozialstaats" zu veranstalten. Ärgerlich ist zudem, dass es zur Zeit keinen massenhaften Widerstand gegen den Sozialraub gibt. Der Generalangriff auf die sozialen Sicherungssysteme findet zur Zeit auf fast allen Ebenen und in allen Bereichen statt, sodass offensichtlich bei vielen Menschen ein Gefühl der Lähmung und des Ausgeliefertseins eingetreten ist. Deutlich sichtbare Zeichen des Widerstandes sind selten geworden und werden in den Medien kaum gezeigt oder gezielt diffamiert.
Wenn sich jetzt endlich zahlreiche Arbeitsloseninitiativen, einige Linke aus der DGB-Basis, ATTAC und Andere dazu durchgerungen haben, am 20. Oktober regionale Aktionstage und am 1. November eine bundesweite Demonstration in Berlin durchzuführen, so ist dies ein dringend notwendiges Signal des Aufbruchs! Während bei den Zaghafteren noch Zweifel überwiegen, weil ein Teil des DGB-Apparats bei der Mobilisierung wohl nicht mitmachen wird, wissen die Anderen, dass wir sowieso keine andere Wahl haben, als endlich selbst aktiv zu werden.
Horst Blume
Liebe Leserinnen und Leser!
Am Freitag, den 10.10.2003 findet in Düsseldorf eine Veranstaltung von der Böllstiftung NRW mit einer Delegation von EnergieexpertInnen aus Südafrika statt. Thema: Welche Energiestrategie wählt Südafrika? Es besteht ausgiebig Gelegenheit, zu diskutieren. Hat jemand Interesse, mitzufahren? Dann meldet Euch bei mir
Nach den Informationen in diesem Rundbrief dürfte klar sein, dass die energiepolitischen Würfel in Südafrika noch lange nicht gefallen sind und es noch jede Menge für uns zu tun gibt. Das kostet auch Geld, das zum Beispiel für dringend notwendige Übersetzungen wichtiger Materialien benötigt wird.
Für die Arbeit an 'THTR Rundbrief', 'reaktorpleite.de' und 'Karte der nuklearen Welt' braucht es aktuelle Informationen, tatkräftige, frische Mitstreiter unter 100 (;-) und Spenden. Wer helfen kann, sende bitte eine Nachricht an: info@reaktorpleite.de
Spendenaufruf
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