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THTR Rundbrief Nr. 108, August 2006
Lippesee-a.de:
Hammer Bürger können jetzt sogar rechnen!
Einhundertfünfundzwanzig mal eine Million macht zusammen 125 Mio. €. Und da jedes Kind weiss, dass sowieso alles viel teurer wird, als geplant: 50 Prozent Aufschlag! Das war selbst dem Hammer Michel zuviel und deswegen stimmten 57 Prozent gegen den Lippesee. Kaum jemand hatte dieses eindeutige Ergebnis erwartet.
Lag es nun am Pro Lippesee-Unsympath, der als "Vorsitzender des Haus- und Grundstückvereins" allein mit dieser Bezeichnung allen Sehenden offenbarte, was er wirklich für Absichten hatte? War es das unendlich viele Geld, das mehr als offensichtlich in eine allzu dreiste Wahlkampagne gesteckt wurde: jeden Tag teure Farbanzeigen im WA auf Seite eins, verblödende Waschmittelreklame-Plakate (oder war's Pampers-Werbung?) an jedem zweiten Baum; völlig einseitige, ausufernde Schaumschlägerei von Seiten der Stadt Hamm auf Kosten der Steuerzahler??
Oder war der forcierte Spezialeinsatz ebenso hochdotierter wie willfähriger Söldnerscharen, die nach neuen Einsatzfeldern und auszuhebenden Pfründen gierten, ebenso entlarvend egoistisch wie verachtungswürdig?? Vielleicht lag es auch an den "glorreichen Vier", also an jenen vier Oberbürgermeistern, die noch in den letzten zwei Wochen vor der Abstimmung durch ihren PR-Einsatz bei Vielen die Alarmglocken schrillen und noch die letzte Schlafmütze aufhorchen ließen? Offensichtlich kumulierte der gesamte von Oberbürgermeistern verzapfte und mitzuvertretende Bockmist der letzten vier Jahrzehnte in den Augen vieler Bürger zu einer unansehnlichen, stinkenden Kloake, auch Lippesee genannt.
Letztendlich sollte unsere Monopol-Heimatzeitung nicht vergessen werden, deren Berichterstattung zu diesem Thema unfair zu nennen, stark untertrieben wäre. Lediglich die Leserbriefe waren "ausgewogen". Unvergesslich, wie dieses Blatt eine offensichtlich terriergestimmte Marion Siebert auf einige Menschen hetzte, die bewundernswert ruhig, ja fast schüchtern und zurückhaltend nur ein paar kritische Fragen stellten und einige Bedenken formulierten.
Und doch war es gut so, wie alles gekommen ist. Anders hätte die Mehrheit nicht gemerkt, auf welcher Seite Macht und Arroganz agierte. - Stimmt das Ergebnis hoffnungsvoll? Fallen Hammer Bürger in Zukunft nicht mehr auf einseitige Meinungsmache herein oder weitergehender: Weigern sie sich demnächst, diese überhaupt zu lesen oder zu abonnieren? - Das wäre wohl zu viel verlangt. So ist er nun mal, unser Durchschnitts-Hammenser. Wird er in Zukunft selbstbewusster die herrschende Politik angreifen? Wir werden sehen.
Von all zu viel Mitbestimmung durch die Hammer Bürger hat OB Hunsteger-Petermann anscheinend inzwischen die Nase voll. Wie am 25. 7. 2006 in der TAZ-NRW zu lesen war, setzt er sich als Vorsitzender der kommunalpolitischen Vereinigung der NRW-CDU energisch für eine achtjährige Amtszeit von Oberbürgermeistern ein. Mit diesem Schachzug würden die Kommunalparlamente in NRW entmachtet und es könnten noch mehr Sonnenkönige und gerne große Populisten an der Stadtspitze selbstherrlich residieren. Da ist der nächste Schritt zur Wiedereinführung der kommunalen Monarchie nur noch eine Frage der Zeit.
Horst Blume
THTR-Müll an die Ostsee: Kommt jetzt der Tourismus-GAU? |
Wie wir bereits im THTR-Rundbrief Nr. 104 berichtet haben, wird zur Zeit in einem und aufwendigen Verfahren der 1988 stillgelegte kleinere Forschungs-THTR (AVR) in Jülich zerlegt und abgebaut.
Inzwischen werden dafür als Kosten nicht mehr 400 Millionen Euro genannt, sondern immer öfter ist von 500 Millionen die Rede. Der Abbau in Jülich erfolgt durch die bundeseigene Gesellschaft Energiewerke Nord (EWN). Eben diese EWN betreibt seit 1998 wenige Kilometer von der Ferieninsel Rügen in Lublin ein Zwischenlager für schwach- und mittelaktive Abfälle. Es trägt den Namen Zwischenlager Nord (ZLN). Umfang und Zeitraum waren bisher limitiert: 6.700 Tonnen konnten bisher bis zu zwei Jahre lang dort gelagert werden. Und zwar nur Atommüll aus den Ost-Atomkraftwerken Lubmin und Greifswald.
Inzwischen hat die EWN beantragt, die sogenannte "Pufferlagerung" auf 10 Jahre auszudehnen, die Lagerkapazität auf 15.000 Tonnen zu erhöhen und auch Atommüll aus dem Westen der Republik bearbeiten zu dürfen. Die EWN argumentierte, die 235 Millionen Euro teure Anlage müsste mit zusätzlichem Atommüll besser ausgelastet werden. Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern will das allerdings nicht und verwehrte die Genehmigung der Erweiterung. Dagegen hatte die bundeseigene EWN, übrigens mit einem DGB-Funktionär als stellvertretenen Aufsichtsratvorsitzenden, beim Verwaltungsgericht in Greifswald geklagt und am 21. Juni 2006 Recht bekommen. "Die vom Umweltministerium (Meck.-Pomm) genannte Gefährdung des Zwischenlagers etwa durch einen Flugzeugabsturz sei dem Restrisiko zuzuordnen", meldete am 22. Juni 2006 die "Ostsee-Zeitung".
Aber hinter der geplanten Erweiterung steckt noch viel mehr: Der Einstieg in die industrielle Nutzung einer kerntechnischen Großanlage!
"Außerdem glauben die Vertreter des Ministeriums, dass die Ausweitung der Pufferlagerung dem ZLN (Zwischenlager Nord) eine langfristige Perspektive als Atommülllager eröffnen könnte. Genau das liegt wohl auch im Kalkül der Betreibergesellschaft. Die EWN sehen ihre Zukunft als Entsorgungsdienstleister für radioaktive Stoffe mit gesamtdeutschen, vielleicht sogar internationalen Geschäftspartnern. Über die nötige Infrastruktur verfügt die Anlage bereits – neben einem neu ausgebauten Hafen besteht auch eine Anbindung ans Bahnnetz. So heißt es auf der Webseite der Energiewerke: Das Zwischenlager sei mit seinen Kapazitäten und technischen Einrichtungen ‚die weltweit einzige Anlage dieser Art‘. Die großen Kapazitäten sind aber offenbar Folge einer bewussten Täuschung der Behörden: Die EWN gaben beim Genehmigungsverfahren weitaus größere Sicherheitsabstände zwischen den Atombehältern an, als vorgeschrieben war. Im Nachhinein korrigierte man die Abstände auf das Mindestmaß – so entstand Platz für zusätzlichen Müll." (Aus: ND vom 9. 6. 2006)
Jetzt also kann in Lubmin Atommüll jeweils bis zu 10 Jahre lang gelagert und konditioniert werden. Dazu gehören ebenfalls Großkomponenten und komplette Reaktordruckbehälter. Schwach belastete Teile werden dann nach entsprechender Behandlung verschrottet oder auf Deponien entsorgt. Radioaktive Komponenten, die die Grenzwerte überschreiten, müssen von den Lieferanten nach Ablauf der Lagerfrist zurückgenommen werden. Das Atommüll-Zwischenlager befindet sich in unmittelbarer Nähe des Greifswalder Boddens und der touristisch bedeutenden Inseln Rügen und Usedom. (Hier liegt so ganz nebenbei auch der Geburtsort der Schriftsteller Wolfgang Koeppen und Hans Fallada...)
Die "Ostsee-Zeitung" titelte folgerichtig ganzseitig: "Furcht vor dem touristischen Super-GAU" und schrieb am 22. 6. 2006 in ihrem Kommentar: "Die Betriebe wollen in der von Arbeitslosigkeit gebeutelten Region bis zu 100 Jobs sichern. Zehn Jahre Atommüll – zehn Jahre Arbeit. Nur so sei ein kostendeckender Betrieb möglich. Eine nachvollziehbare Rechnung. Aber geht sie wirklich auf? Die Region lebt vor allem vom Tourismus. Und der könnte erheblichen Imageschaden erleiden. Ein Atomklo der Nation würde den Tourismus-Super-GAU bedeuten. Niemand urlaubt gern in unmittelbarer Nachbarschaft strahlender Hinterlassenschaften." – Und vom ständigen Leben in dieser gefährlichen Gegend wohl ganz zu schweigen....
Freilich ist es nicht das erste mal, dass diese Region Bekanntschaft mit THTR-Atommüll machen musste. Bereits im Jahre 1998 war beim Bundesamt für Materialprüfung (BAM) in Greifswald schon einmal ein "Probecastor" aus dem stillgelegten THTR Hamm-Uentrop zu Besuch. Wir erinnern uns: Die Castoren lagern seit 1995 in Ahaus und fingen an zu rosten. Bei der Untersuchung in Greifswald sind Wasserreste im Dichtungsbereich des Primärdeckels festgestellt worden. Das Dichtungssystem funktionierte nicht mehr richtig; die wichtige Sicherheitsbarriere war dahin (siehe auch THTR-RB Nr. 61). Merke: Kommt einmal Atommüll, kommt öfters Atommüll.
Horst Blume
THTR-Mikrokügelchen in Geesthacht: Diddl-Maus bald mit Geigerzähler? |
Die Kleinstadt Geesthacht vor den Toren Hamburgs ist sowohl Kindern als auch AtomkritikerInnen aus zwar unterschiedlichen, aber über Umwege doch zusammenhängenden Gründen sehr bekannt. Geesthacht ist die Heimat der Diddl-Maus.
Der Liebling der 7 bis 12-Jährigen hat riesige Füße und Ohren (Mutationen?), drei Haare, Latzhose und eine überwiegend rosige Weltsicht. Hier ist der Firmensitz des Unternehmens, das seit 1990 mit einer Unmasse an Diddl-Utensilien aller Art, "naiven" Sprüchen auf Postkarten in spezieller Diddl-Sprache einen aktuellen Jahresumsatz von etwa 150 Millionen Euro macht.
Im gleichen Ort befindet sich das Atomkraftwerk Krümmel und die Gesellschaft zur Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schifffahrt (GKSS), die hier einen nuklearen Forschungsreaktor betreibt. Seit 1990 sind in der Elbmarsch 16 Kinder an Leukämie erkrankt; vier von ihnen sind bereits verstorben. Es ist die weltweit größte Häufung von Blutkrebs an einem Ort. "Du bist der Volltreffer, der mitten in meinem Herzen gelandet ist!", sagte die Diddl-Maus einmal. Bei der Suche nach der mäusemysteriösen Ursache stießen einige Nachforschende auf einen Zwischenfall am 12. September 1986, als im Atomkraftwerk Krümmel alarmierend hohe Radioaktivität gemessen wurde. Der Grenzwert wurde um das 500fache überschritten.
Da eine Panne im Atomkraftwerk ausnahmsweise einmal ausgeschlossen werden konnte, geriet die benachbarte GKSS in Verdacht, geheime kerntechnische Experimente zur Herstellung von Miniatombomben durchgeführt zu haben, bei denen es zu einem folgenschweren Unfall gekommen sei. Verschiedene in der Umgebung anwesende ZeugInnen haben die Explosion gesehen.
Seit 1992 wurden in der Umgebung von Geesthacht Kleinstkügelchen von etwa einem halben Millimeter Durchmesser gefunden. Sie enthalten Uran, Thorium und Plutonium. Diese Inhaltstoffe geben wichtige Hinweise auf den eingesetzten Brennstoff und den Forschungsgegenstand. Die zuständigen Landesregierungen in Niedersachsen und Schleswig-Holstein versuchten 15 Jahre lang, den Skandal zu vertuschen und verwiesen auf Tschernobyl-Radioaktivität und "Flugasche" von weltweiten überirdischen Atombombenversuchen. Das Leben von Kindern wiegt gegenüber den Interessen der Atom- und Rüstungsindustrie offensichtlich nur wenig.
Unabhängige Gutachter fanden heraus, dass die Kügelchen schon einmal in der Nähe der nuklearen Brennelementefabrik Hanau gefunden wurden, wo es ebenfalls im Jahre 1987 zu einer Explosion gekommen ist. Hier wurden die Kugelbrennelemente für den 1989 stillgelegten Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) in Hamm-Uentrop hergestellt. Die Kügelchen sind Bestandteil seines nuklearen Brennstoffes gewesen. Mehrere Wissenschaftler vermuten, dass in Geesthacht an einer Weiterentwicklung von Hochtemperatur- und Hybridreaktoren in Verbindung mit Wasserstoffbomben geforscht wurde. Durch Laserbeschuss dieser Kügelchen wollte die GKSS – so die Vermutung – nukleare Miniexplosionen auslösen.
Die militärische Komponenten dieser Forschungen sind natürlich atemberaubend unglaublich und supermausespannend. Das erklärt auch, warum die Behörden am liebsten die ganze Angelegenheit Abrakadiddledabra in der Versenkung verschwinden lassen wollen. Aber nach diversen aufsehenerregenden Sendungen im ZDF und 3Sat in den letzten Wochen, arbeitet Professor Blubberpeng in seinem Probiertüfteltestlaboratorium mit Hochdruck an der Aufklärung der Leukämietodesfälle. Im Namen der Kinder ist die Stilllegung der Atomanlagen dringend geboten - und zwar flatterflott!
Aus der Monatszeitung "Graswurzelrevolution" Nr. 311; www.graswurzel.net
Seltsamerweise kommt in Hamm niemand auf die Idee, in dieser Region nach den Auswirkungen der THTR-Kleinstkügelchen zu forschen, obwohl über 8000 größere THTR-Brennelemente mit über 24 Millionen Kleinstkügelchen im laufenden Betrieb beschädigt wurden und es 1986 zu einem Störfall mit radioaktiven "Freisetzungen" kam (siehe auch THTR-Rundbrief Nr. 82).
Horst Blume
Großbritannien steuert um |
Anfang letzten Jahres haben fast ein Dutzend Staaten in Washington ein Kooperationsabkommen zur Weiterentwicklung der vierten Generation von Atomkraftwerken, zu denen auch Hochtemperaturreaktoren gehören, unterzeichnet. Großbritannien gehörte dazu, obwohl 2003 noch in einem Weißbuch die Atomenergie als "unattraktive Option" bezeichnet wurde.
Bisher wurden in Großbritannien 23 Atomkraftwerke gebaut, von denen noch zwölf am Netz sind und 19 Prozent des Energiebedarfs decken. Bis 2023 werden voraussichtlich sämtliche alten AKWs stillgelegt sein, weil sie überaltert sind. Die Debatte über die britische Zukunft der Energieversorgung ist voll im Gange und wird bestimmt von der Angst zukünftiger Abhängigkeiten und der Verpflichtung, klimaschädliches Kohlendioxid zu reduzieren.
Ein langsamer Sinneswandel hin zu einer Pro-Atomkraftpolitik deutete sich schon seit einiger Zeit an (siehe THTR-RB 107). Im letzten Herbst gab die Labour-Regierung eine neue Energie-Expertise in Auftrag. Doch mitten in die Vorbereitungen für die Bekanntgabe der neuen Optionen platzte ein dafür ungünstiges Ereignis. Auf Antrag von Greenpeace und einer Bürgerinitiative musste die Atomsicherheitsbehörde verschiedene Berichte der Öffentlichkeit zugänglich machen, in denen von Rissen im Reaktorkern in mehreren Atomkraftwerken die Rede ist. Selbst intern wurden stärkere Kontrollen, Abschaltungen und sofortige Stilllegungen bestimmter Reaktoren gefordert. Die Tatsache, dass die Existenz der Risse jahrelang bekannt war, aber verschwiegen wurde, weitete sich zu einem Skandal aus. Die Bekanntgabe der geplanten Renaissance der Atomenergie musste um ein paar Wochen verschoben werden. Am 10. Juni 2006 wurde bekannt, dass Frankreich und Großbritannien bei der technischen Entwicklung zukünftiger Atommeiler und bei Rüstungsprojekten enger zusammenarbeiten wollen. Am 13. Juli 2006 war es dann so weit: Fast alle überregionalen Zeitungen meldeten die jetzt auch offiziell bekannt gewordene Kehrtwende der Blair-Regierung. In einem 216-Seiten-Bericht "The Energy Challenge" ("Die Energie-Herausforderung") wird grünes Licht für den Bau einer neuen Generation von Atomkraftwerken gegeben.
Atomkraftwerke bekommen hier eine "herausragende Notwendigkeit" für die Zukunft attestiert. "Mit diesem Schritt wird Kritikern die Möglichkeit genommen, Genehmigungsverfahren für neue Anlagen mit dem Argument zu bremsen, sie seien nicht notwendig. In Zukunft zählen nur noch Einsprüche, die sich auf die lokalen Gegebenheiten beziehen. (...) Bei dem letzten Kraftwerk, das in Großbritannien genehmigt wurde, dauerte das Genehmigungsverfahren sechs Jahre, in Zukunft sollen es nur noch drei Jahre sein", schrieb die FAZ. Es wird vermutet, dass diese Anlagen trotzdem nicht vor 2017 in Betrieb gehen können. Die Kosten für den Neubau sollen drastisch reduziert werden, denn: "Die neuen Atomkraftwerke müssen ausschließlich privatwirtschaftlich beantragt, geplant, finanziert und gebaut werden. Die britische Regierung will keinerlei Subventionen oder Zuschüsse gewähren" (FAZ). Wer´s glaubt ...... ein Schlupfloch findet sich immer. Die sechs bis zehn angedachten Anlagen würden bis zu 30 Milliarden Euro erfordern. Welche Art von AKW´s zu den Auserwählten gehören, soll die Privatwirtschaft mit der Regierung aushandeln, die bekanntlich neue HTR-Kooperations- und Weiterentwicklungsverträge im letzten Jahr abgeschlossen hat.
Das alles hält Manfred Kriemer, Ökologie-Redakteur in den 80er Jahren bei der TAZ, für nicht beunruhigend. Er schreibt in der TAZ vom 15. Juli seinem Artikel "Hängen im Atomschacht": "Und Tony Blair? Sein neuer Energiebericht, der diese Woche vorgelegt wurde, kann nicht als Atomprogramm missverstanden werden. Er bleibt vage, was neue Atomprojekte angeht, bekennt sich aber dazu, dass Atomkraft eine Rolle im künftigen Energiemix spielen soll." Und verweist auf die hohen Kosten von neuen AKW´s.
Mit seiner gewagten Interpretation blendet er allerdings sogar Berichte aus, die in "seiner" TAZ zwei Tage vorher standen: "Der deutsche Konzern Eon und sein französischer Konkurrent EDF brachten sich bereits als mögliche Investoren ins Gespräch. ‚Wir werden uns jetzt an den Planungs- und Genehmigungsverfahren für neue Atomkraftwerke beteiligen‘, sagte Paul Golby, Chef von Eon UK"! Auch die "Zeit" schrieb zwei Tage vor Krieners zweifelhafter Beruhigungspille: "Experten zweifeln allerdings nicht daran, dass sich die großen Versorger schon bald regen." Und das kapitalfreundliche "Handelsblatt" widerlegte Kriener ebenfalls zwei Tage zuvor: ""Vincent de Rivaz, Chef des französischen Versorgers EDF, bekannte sich zum Bau von Kernkraftwerken in Großbritannien. Die Franzosen sind hier mit ihrer Tochter EDF Energy einer von sechs großen Strom- und Gasversorgern neben den deutschen Konzernen Eon und RWE, dem Marktführer Centrica und den beiden schottischen Anbietern Scottish Power. Centrica lobte die Regierung dafür, dass sie Subventionen für neue Atomkraftwerke ausgeschlossen hat."
Fehlendes Geld scheint nicht das Problem der Energiekonzerne zu sein. – Wieso aber kommt Kriemer zu so einer Einschätzung?? Und wem dient er damit, wenn er so vorschnell "Entwarnung" gibt? Es ist die gleiche Art von "Entwarnung", mit der rotgrüne Politiker dem Wahlvolk den Verstand geraubt haben, indem sie behaupteten, der angebliche Atomausstieg wäre das Ende der Atomindustrie. Wir wissen heute, dass das nicht nur eine blamable Fehleinschätzung, sondern eine bewusste parteipolitisch motivierte Täuschung war.
Warum denn nicht: Pinkepink(e)warts Sommer-TheaTeR |
Gleich am ersten Ferientag ging NRW-Forschungsminister Pinkwart seiner Lieblingsbeschäftigung nach – der Füllung des Sommerlochs mit einer höchst innovativen Idee: NRW sollte wieder Standort eines neuen THTR´s werden. "Warum nicht?" fragte er scheinbar erstaunt im Interview.
Fast alle Zeitungen berichteten von seinem zweiten Vorstoß in dieser Sache innerhalb weniger Monate. Die Westfälische Rundschau sogar an drei Tagen hintereinander auf Seite eins. So bleibt man im Gespräch. "Wir wollen uns in Zukunft wieder an der internationalen Forschung zu Generation-IV-Reaktoren beteiligen" posaunte der habilitierte Chaostheoretiker vollmundig am 27. 6. 2006 in der WR hinaus. Um sogleich erzwungenermassen einen gewissen Rückzieher zu machen: "Innerhalb von 24 Stunden vollzog der Minister sowohl den erneuten Einstieg in die Kernenergie als auch den sofortigen Wiederausstieg – rein gedanklich, versteht sich" (TAZ-NRW vom 27. 6. 2006). Denn nun betrat Bundesumweltminister Sigmar Gabriel als Retter des Atomausstiegs die THeaTeR-Bühne und warf ihm einen Verstoß gegen geltendes Recht vor: "Von der Rechtsstaatspartei FDP ist nicht viel übriggeblieben" (TAZ-NRW vom 28. 6. 2006).
Im nächsten Akt eilte als nukleare Hilfstruppe die Industrie- und Handelskammer von NRW dem bedrängten Pinkwart zur Seite: "Während China und Südafrika auf die Technologie des Jülicher Kernforschungszentrums bauen würden, gebe es in Deutschland einen Finanzierungsstop (was nicht stimmt!, H. B.), sagte gestern der Hauptgeschäftsführer der IHK in NRW, Crone-Erdmann" (TAZ-NRW vom 30. 6. 2006).
War das alles nur absurdes Theater eines profilierungssüchtigen Traumtänzers oder steckte mehr dahinter? Die TAZ-NRW schmeichelte in ihrem Kommentar der inzwischen sich verflüchtigten geschundenen rotgrünen Seele mit einer auf den ersten Blick sympatischen Sichtweise: "Rechtlich nicht machbar, politisch nicht durchsetzbar und obendrein technologisch fragwürdig. (...) ... macht den dilettantisch geplanten Vorstoß noch peinlicher" (27. 6. 2006).
Mit einer gewissen Leserbrief-Verspätung offerierte ich der TAZ eine andere Deutung. Nach der obligatorischen Auflistung der jahrelangen rotgrüngeförderten THTR-Forschung in Land, Bund und EU sind Pinkwarts Vorstöße meiner Meinung nach durchaus folgerichtig:
(...) "Für die Weiterentwicklung einer Reaktorlinie werden in der Regel ein bis zwei Jahrzehnte benötigt. Viele unspektakuläre kleine Schritte sind bereits - als "Sicherheitsforschung" deklariert - in NRW still und leise unter Rotgrün gemacht worden. Bisher hat also alles bestens geklappt, aber allmählich will die Atomindustrie den nächsten folgerichtigen Schritt weitergehen und so eine Nuklearanlage bauen. Und alles startklar machen, wenn es in drei Jahren auch im Bund zu einer schwarz-gelben Koalition kommt. Bei soviel jahrzehntelanger Kontinuität und Schlafmützigkeit vieler Umweltschützer ist Pinkwarts Frage nach dem Neubau eines THTR durchaus berechtigt: Warum denn nicht?" (TAZ-NRW, 17. 7. 2006)
Bereits am 2. 7. 2006 erklärte das inoffizielle CDU/FDP-Erläuterungsorgan "Welt am Sonntag" einen weiteren Hintergrund für Pinkwarts Vorstoß: "Es geht ihm um die sofortige Sicherung zweier Lehrstühle, die an der RWTH Aachen und in Jülich angebunden sind, mittelfristig um neue Forschungs-Vereinbarungen mit der Bundesregierung – und langfristig darum, bei der Forschung neue Entwicklungen der Kernenergie nicht einfach auszuklammern. (...) Ich setze mich dafür ein, daß zwei Professorenstellen zeitnah neu ausgeschrieben und die Lehrstühle angemessen ausgestattet werden. Ich will außerdem erreichen, daß vier Millionen Euro Forschungshilfen wieder ausschließlich der Forschung zur Reaktorsicherheit und zur Atomentsorgung dienen‘". Zusätzlich brachte Pinkwart ernsthaft folgende neue Atomkraftwerksstandorte in NRW ins Spiel: "Leverkusen, Hamm-Uentrop, Gelsenkirchen-Scholven, Rees, Datteln, Paderborn, Würgassen".
Pinkwart sei Dank ist nun der alte Pleitereaktor wieder in aller Munde. Wir sollten dem guten Mann den Ehrenvorsitz in einer noch zu gründenden THTR-Gedächtnisstiftung antragen.
Horst Blume
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